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Atlas eines ängstlichen Mannes

Atlas eines ängstlichen Mannes

Titel: Atlas eines ängstlichen Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Ransmayr
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Sinnbild einer selbst in Unschuldigen schlafenden Bestialität.
    Während also die Frau im Sari über den hitzeflirrenden Parkplatz weiter und zurück zum Bus ging, machte der Mann an ihrer Seite plötzlich kehrt, war mit einigen schnellen Schritten bei dem schlafenden Hund und trat mit einer solchen Wut gegen seine ausgestreckten Hinterläufe, daß das Tier jaulend hochsprang, dann allerdings, als sei es an Tritte und Mißhandlungen gewöhnt, nur bis ans Ende der Plakatwand, nur bis ans Ende der großen roten Schrift davonhinkte. HANG EM . Und weil sein Peiniger ihm nicht folgte, ließ der Hund sich dort, ein von der Räude geplagtes, zu Tode erschöpftes Wesen, wieder in den Staub fallen.

Die chinesische Vase
    Ich sah schimmernde Eisfelder zwischen den Fächerpalmen eines weitläufigen Gartens in der chilenischen Hauptstadt Santiago; es waren die in der Abendsonne aufleuchtenden Gletscher der Anden, deren Gipfel sich in Sichtweite der Stadt fast sechstausend Meter über den Meeresspiegel erhoben. Das subtropische tiefe Grün des Gartens erschien vor diesem fernen, silbrigen Glanz noch dunkler: Zwischen Papayas, Milchorangen- und Maiglöckchenbäumen, Lorbeer, Pfauensträuchern und Baumfarnen wurden hier offensichtlich Vorbereitungen für ein Fest getroffen. Auf dem wie mit einem Rasiermesser zu einer Art Teppich gestutzten Rasen standen weiße, mit weißem Porzellan gedeckte und mit Blumenbuketts in Weiß – Calla, Hibiskus, Rosen, Lilien und weißer Lavendel – geschmückte, zu einem offenen Kreis ins Grün gesetzte Tische.
    Als ob dieses vielfältige Weiß ihre Farbenpracht noch prunkvoller erscheinen lassen sollte, stand in der Mitte des Kreises eine riesige, etwa drei Meter hohe, mit Vogelschwärmen und Blumengirlanden wie aus der Ming-Zeit bemalte chinesische Vase auf einem weißen Podest. Die Vögel schienen einer Route zu folgen, die sich als spiralförmige, aus Blumen aller Farben, vielleicht auch Jahreszeiten, geflochtene Girlande vom Sockel zum Rand der Vase emporwand. Oder waren es die Vögel, die diese Blumen im Flug ausstreuten und so dem Jahreslauf seine Farben bescherten? Die Vase stellte wohl die Welt dar – an ihrem Sockel schlugen tiefblaue Meereswellen hoch, und ihr Rand war bemalt mit einer Krone wolkenverhüllter und wolkenumkränzter Gipfel. In einem schwarzgoldenen Band über den Gipfeln glänzten Sterne.
    Vielleicht sollten hier ja weder Hochzeit noch Taufe oder Geburtstag gefeiert werden, sondern allein dieses riesige Gefäß … vielleicht wollte ein leidenschaftlicher Sammler seinen Freunden die Beute zeigen, die er von einer Auktion, einer Ausstellung oder einer Porzellanmanufaktur mitgebracht hatte; vielleicht war das monströse Ding aber auch ein Erbstück, das einer festlichen Versammlung von Nachkommen vorgestellt werden sollte. Ja, war ich schließlich überzeugt, so etwas oder so etwas Ähnliches mußte der Grund für dieses weiße Bankett in einem Garten sein, in dem es bereits zu dämmern begann, während die fernen Andengletscher noch im Licht einer unsichtbaren Herbstsonne leuchteten.
    Ich hatte mich auf der Suche nach einer direkten Verbindung zwischen zwei parallel verlaufenden Häuserschluchten in diesen Garten verirrt, war zuerst einer langen, glasscherbenbewehrten Mauer gefolgt, hatte eine Sackgasse umgangen und mich in einem Durchhaus schon auf dem richtigen Weg geglaubt, als sich am Ende doch wieder nur ein weiterer Hof mit alarmgesicherten Garagen vor mir geöffnet hatte und ich schließlich zwischen Wohntürmen so hoch, daß ich den Kopf in den Nacken legen mußte, wenn ich zu den begrünten Terrassen der Penthouses aufblicken wollte, vor den offenen, mit Stacheldraht benagelten Flügeln eines Gartentores stand. Durch diesen Garten, er schien groß wie ein Park (der allerdings auf meinem Stadtplan nicht verzeichnet war), mußte doch ein Weg ins Freie führen. Ich würde mein Eindringen mit meiner Unkenntnis des Ortes entschuldigen, würde den Stadtplan wie einen Passierschein hochhalten und nach dem Weg fragen.
    Aber der Garten war menschenleer. Zwischen den für siebzig oder achtzig Menschen gedeckten Tischen war weder von Gastgebern noch von Geladenen etwas zu sehen, und unsichtbar blieb auch, wer die Tische in diesen städtischen Urwald getragen und gedeckt hatte; keine Spur von Köchen und Kellnern an einem mit weißen Tüchern verhängten Büffet.
    Wie still es hier war. Es war kurz vor Sonnenuntergang, die Stunde des Vogelgesangs, aber hier war es still,

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