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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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war.
    Auch ihr Lachen mochte ich. Es hatte etwas Warmes an sich, etwas, das den Wunsch in mir weckte, mich sofort an sie zu schmiegen.
    Wir waren im selben Geschichtskurs. Sie saß rechts vor mir, und so konnte ich sie beobachten, ohne dass es zu auffällig wurde. Sie benutzte einen glitzernden grünen Kugelschreiber, auf dem sie ständig herumkaute. Manchmal fielen ihr die schwarzen Locken seitlich ins Gesicht, sodass ich ihre Mimik nicht mehr verfolgen konnte. Unablässig wanderte mein Blick von der Rundung ihrer Schultern über ihren Pullover. Obwohl sie weder tief ausgeschnittene Shirts noch hautenge Kleidung trug, konnte man ihren Körper sehen. Alles, was sie anhatte, stand ihr und brachte ihre Formen zur Geltung.
    Ich beobachtete sie, hatte aber nie den Mut, sie anzusprechen. Sie zu beobachten war, als sähe ich jemand auf dem Fernsehbildschirm, so weit weg schien sie mir zu sein.
    Eines Tages, als wir beide fehlten, mussten die Schüler der Klasse für ein bestimmtes Projekt Zweiergruppen bilden. Am nächsten Tag kam die Lehrerin in den Aufenthaltsraum und teilte mir mit, dass nur noch Amy und ich übrig seien. Deshalb passte ich Amy vor dem Geschichtskurs im Gang ab. Da ich noch nie mit ihr gesprochen hatte, hatte ich meinen Text vorher gut einstudiert.
    »Mrs Bruno hat gesagt, wir sollen dieses Projekt zusammen machen, weil alle anderen schon Partner haben.«
    Amy trat einen Schritt zurück und musterte mich von oben bis unten, als hätte ich eine ansteckende Hautkrankheit. »Nein, danke«, sagte sie.
    Ihre zwei besten Freundinnen, die ihr in den Pausen immer hinterherdackelten, kicherten. Mein Gesicht wurde rot und röter.
    »Nur wir zwei sind übrig«, erklärte ich ihr noch mal. Es war ja schließlich nicht so, als hätte ich sie gefragt, ob sie ein Kind von mir bekommen wolle. Hier ging es nur um eine Projektarbeit .
    Sie warf den Kopf zurück. »Dann tausche ich eben mit jemand.« Anschließend drehte sie sich um und packte eine ihrer Freundinnen beim Arm, worauf alle drei in Gelächter ausbrachen. Dieses Gelächter war für mich wie ein Schlag in die Magengrube. »Gott, das ist doch der bescheuerte Typ, der mich im Unterricht immer so anstarrt«, sagte Amy, ohne die Stimme zu senken. Mir wurde siedend heiß, und in meinem Kopf schien ein Bienenschwarm zu summen, so laut, dass er fast – aber nur fast – das Kichern der Mädchen übertönte.
    Als sie sich davonmachten, lachten sie so sehr, dass sie sich kaum aufrecht halten konnten. Allen Blicken ausweichend, trottete ich schweißgebadet zu meinem Spind. Ich hatte das Gefühl, jeder in der Schule müsse gehört haben, was gerade passiert war. Immerzu gingen mir Amys Worte im Kopf herum, versetzten mir einen Stich nach dem anderen und demütigten mich immer wieder aufs Neue.
    Und dann war die Glasscheibe da, und die Welt schien ein Stück zurückzuweichen, sodass ich zumindest wieder Luft bekam.
    Später in der Klasse kam Martin Reyes zu mir, um mir mitzuteilen, er habe mit Amy getauscht. Ich sagte okay, sei mir auch recht. Solange wir an diesem Kurs teilnahmen, blickte ich nie wieder zu Amy hin. Ich hasste es, wenn die Lehrerin auf der rechten Seite stand, wo Amy in mein Blickfeld geraten wäre, und vermied es, in diese Richtung zu sehen, sodass Mrs Bruno mir vorwarf, nicht aufzupassen.
    Das alles war schon schlimm genug – aber damit war die Geschichte mit Amy Trillis noch nicht zu Ende. Danach gab es noch den Vorfall in der Bibliothek, wo ich tatsächlich dachte, ich sei dabei, den Verstand zu verlieren. Dass wir aus West Seaton wegzogen, war zwar eine Erleichterung, doch dieses entsetzliche Gefühl der Demütigung und der Scham folgte mir und setzte sich in mir fest. Nichts von alldem ließ ich wirklich hinter mir.

9
    Während des ersten Jahrs im neuen Haus war ich nur selten nach draußen gegangen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich in den Wald und die nähere Umgebung vorwagte. Doch im vergangenen Frühling hatte ich den Wasserfall entdeckt, was dann zu weiteren Streifzügen führte.
    Am Morgen nach unserem Besuch bei dem Medium joggte ich durch den Wald. Um mich herum spritzte Schlamm auf und gelegentlich rutschte ich auf glitschigen Baumwurzeln aus. Von den Ästen der Kiefern und Schierlingstannen tropfte Tau, der trotz der frühen Stunde sofort verdampfte und die Umgebung in Dunst hüllte. Da ich seit mehr als einem Jahr nicht mehr gejoggt hatte, war ich in miserabler Form und keuchte mir die Seele aus dem Leib. Doch das machte

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