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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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mir nichts aus. Es gefiel mir, wie das Blut durch meine Adern brauste. Sogar dass ich schwitzte, gefiel mir. Von der Glasscheibe war weit und breit nichts zu spüren.
    Dafür gingen mir ständig Nickis letzte Mails im Kopf herum. Keine Ahnung, wie sie es schaffte, sich mit ihren wisprigen Kleinbuchstaben in meinen Kopf zu drängen. Jedenfalls gelang es mir nicht, sie loszuwerden. Obwohl ich nur laufen und an gar nichts denken wollte, hörte ich in einem fort: »ich bin froh dass du dich nicht umgebracht hast … ich bin jetzt auch ziemlich sauer auf dich …«
    Ich folgte dem Pfad, der vom Wasserfall wegführte und mich zum Rand eines alten Steinbruchs brachte, wo der Weg abrupt aufhörte. Als ich nach unten blickte, sah ich eine schroffe Felswand. Der Boden des Steinbruchs war mit Gesteinsbrocken und Geröll bedeckt.
    Obwohl mir der Schweiß über den Rücken lief und meine Beine vor Anstrengung zitterten, spazierte ich am Rande des Steinbruchs entlang. Die hohe Felswand fiel steil nach unten ab. Ich kickte einen Stein über den Rand und beobachtete, wie er unten aufschlug, und dabei fiel mir ein, wie ich Val einmal von meinem Wunsch, fliegen zu können, erzählt hatte.
    Der Rand war mit einem Maschendrahtzaun gesichert, der aber inzwischen verrostet war und an verschiedenen Stellen Löcher hatte. Ich griff nach dem rostigen Draht.
    Das Problem mit Nicki war, dass ich ihr helfen wollte, aber nicht wusste, wie ich das anstellen sollte. Sie schien immer anzunehmen, dass ich mehr wusste, als tatsächlich der Fall war, dass ich ihr ein entscheidendes »Geheimnis« vorenthielt.
    Ich hatte zwar Geheimnisse, aber die hatten nichts mit Nickis Vater zu tun.
    Ich hielt mich am Draht fest und beugte mich ein Stück über den Rand, wich aber sofort wieder zurück. Große Höhen hatten etwas an sich, das mich magisch nach unten zog, was aber nichts, wirklich rein gar nichts mit dem Wunsch zu sterben zu tun hatte. Vielmehr fühlte ich mich durch und durch lebendig, ein absoluter Kontrast also zu jener inneren Erstarrung, wegen der ich damals in die Klinik gekommen war.
    Nickis Gewisper schlängelte sich wieder in meine Gedanken und nistete sich dort ein. Unwillkürlich musste ich daran denken, wie sie vor Andreas Haus geweint und wie sie mir die Hand auf den Rücken gelegt hatte, als ich ihr die Garagengeschichte erzählte.
    Ich kickte einen weiteren Stein über den Rand.
    Ich war wirklich noch nicht fertig mit Nicki, das wusste ich. Möglicherweise konnte ich ihr nie die Antworten geben, die sie hören wollte. Trotzdem waren wir noch nicht fertig miteinander.
    Auf dem Rückweg kam ich am Wasserfall vorbei, doch Nicki war nicht da. Nachdem ich zu Hause geduscht hatte, ging ich zu ihrem Haus hinunter. Da der Weg steil bergab führte, zitterten mir wieder die Beine.
    Kent saß in der Auffahrt und rauchte – diesmal nur eine Zigarette.
    »Ist Nicki da?«, fragte ich.
    Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. »Was läuft denn da zwischen euch?«
    »Ich möchte nur mit ihr sprechen.«
    »Also, ich hab’s dir ja schon mal gesagt. Geh vorsichtig mit ihr um.« Er starrte mein nasses Haar an. »Warst du wieder unter diesem beschissenen Wasserfall?«
    »Heute nicht.« Ich verstand nicht ganz, warum ihn das so beschäftigte, es sei denn, er meinte, mein Verhalten sei ein schlechtes Beispiel für Nicki. »Warum interessiert dich das?«
    Er zuckte die Achseln. »Tut’s nicht. Von mir aus kannst du dich so lange da runterstellen, bis dir der Schädel platzt.« Er stieß eine dicke Rauchwolke aus, dann machte er eine ruck- artige Kopfbewegung in Richtung Haus. »Nicki ist oben in ihrem Zimmer.«
    Nachdem ich vorsichtig über einen leeren Motorölkanister, einen Steinhaufen und eine kaputte Harke gestiegen war, klopfte ich an die Haustür. »Geh einfach rein«, sagte Kent. »Nicki ist oben. Sonst ist niemand im Haus.«
    Es war ein merkwürdiges Gefühl, die Tür eines fremden Hauses zu öffnen und hineinzugehen, doch da Kent mich beobachtete, machte ich es einfach. Die Decke des Wohnzimmers war so niedrig, dass ich Beklemmungen bekam. Der Raum war voller Sofas, Teppiche, Tische, Zeitschriften, Werkzeuge, Kaffeetassen und ich weiß nicht, was sonst noch. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, von Sachen umzingelt zu sein und keine Luft mehr zu kriegen. Es roch nach Pfeffer, Kohl, Zimt, Hund, Benzin und Moder. Dann wurde mir klar, warum die Luft hier so zum Schneiden war: Die Klimaanlage war nicht an, die Fenster geschlossen.
    Ich ging die

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