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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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knarrende Treppe hoch, die mit einem fadenscheinigen schmutzig braunen Teppich bedeckt war. Oben blieb ich stehen.
    »Nicki!«, rief ich.
    Eine der Türen im Gang öffnete sich. »Was machst du denn hier?«
    »Ich möchte mit dir reden.«
    Sie schob die Hüfte vor, und ich rechnete damit, dass sie mich gleich zum Teufel schicken würde. Doch dann machte sie die Tür weit auf und trat zurück. Ich ging in ihr Zimmer. Dieser Raum war noch vollgestopfter als das Wohnzimmer: ein Bett, übersät mit Kissen, zerknitterten Laken und Zeitschriften; eine Kommode, zwischen Wand und Bett gequetscht, auf der unglaublich viel stand und lag – Flaschen mit Nagellack, Saftgläser, Filzstifte, Batterien …
    »Was willst du?« Nicki pflanzte sich auf einen Hocker vor der Kommode, über der ein großer Spiegel hing. »Die Trainingshose? Die ist noch in der Wäsche.«
    Ich hatte ganz vergessen, dass Nicki sich gestern eine Trainingshose ausgeliehen hatte, nachdem ihre Kleidung völlig durchnässt gewesen war. »Oh … das eilt nicht.« Ich setzte mich hinter ihr aufs Bett, sodass unsere Blicke sich im Spiegel begegneten. Offenbar hatte ich mich auf einer aufgeschlagenen Zeitschrift niedergelassen. Trotzdem blieb ich sitzen, da ich ruhig und konzentriert wirken wollte, wenn ich sagte, was ich mir vorgenommen hatte.
    »Es tut mir leid«, sagte ich.
    »Was denn?«
    »Dass ich gestern deine Mails nicht beantwortet habe.«
    Sie schraubte eine Flasche mit Nagellack auf. Der Geruch verbreitete sich im Zimmer. Obwohl mir der Geruch gefiel, nahm ich an, dass er schädlich war und man diese chemischen Dämpfe nicht zu tief einatmen durfte. Sie strich sich mit dem kleinen Pinsel über den Daumennagel: Silber. »Warum bist du denn so … so misstrauisch geworden? Was dachtest du denn, was ich vorhatte?«
    Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar, sah im Spiegel, wie es zu Berge stand, und strich es schnell wieder glatt. »Weißt du, ich rede nicht mit vielen Leuten über diese Sache.«
    »Ich habe niemandem erzählt, was du mir erzählt hast.« Sie lackierte ihren Daumennagel zu Ende und blies ihn trocken. Nachdem sie die Flasche wieder zugeschraubt hatte, begutachtete sie den silbernen Fingernagel. »Ich hatte immer vor, mit dir über meinen Dad zu reden, aber das heißt nicht, dass ich nur Informationen aus dir … rausquetschen wollte, um dann wieder zu verschwinden.« Nicki blickte erneut in den Spiegel, um mich anzusehen. »Es macht mir Spaß, mit dir rumzuhängen und über Bücher zu reden und so. Meine Brüder lesen kaum was, und die anderen in der Schule reden nicht mit mir über solche Dinge, weil sie meinen, dafür sei ich zu dumm.«
    Ich glaubte ihr – obwohl mir nicht ganz klar war, wie jemand den Fehler machen konnte, Nicki zu unterschätzen.
    »Du vertraust mir doch ein bisschen, stimmt’s?«, fuhr sie fort. »Sonst wärst du ja nicht hier.«
    Das tat ich, Gott weiß, warum. Vielleicht hing es damit zusammen, dass sie mir immer so wehrlos vorkam. Vielleicht lag es auch an der Art und Weise, wie sie mich ansah. Oder daran, dass sie sich meine Garagengeschichte angehört hatte, ohne mir hinterher gute Ratschläge zu erteilen und mir zu sagen, was ich falsch gemacht hatte. Bevor ich etwas erwidern konnte, fragte sie: »Vertraust du überhaupt jemand?«
    »Ja, doch.« Ich schluckte. »Meinem Dad. Meinem Freund Jake. Und Val.«
    »Wer ist Val? Deine Freundin?«
    »Nicht wirklich.« Jetzt zog ich doch die Zeitschrift unter meinem Hintern hervor und packte sie auf das Wandbrett neben mir, wo schon ein Volleyball und ein Fußball lagen. Über dem Brett hatte Nicki ein Poster an die Wand geklebt, auf dem ein braun gebrannter Typ zu sehen war, der kraftstrotzend auf einem Surfbrett über die Wellen ritt, was mir das Gefühl vermittelte, noch blasser und noch weniger in Form zu sein, als es ohnehin der Fall war. Rasch wandte ich den Blick vom Poster ab.
    Nicki schraubte eine weitere Flasche auf und machte sich daran, ihren Zeigefinger hellblau zu lackieren. »Was soll das heißen? Ist sie es oder ist sie es nicht?«
    »Sie ist es nicht.«
    »Und warum nicht?« Sie hob den Kopf und sah mich an. »Hat sie dir einen Korb gegeben? Oder hast du sie nie gefragt?« Sie zeigte im Spiegel mit dem Nagellackpinsel auf mich. »Warte, lass mich raten. Du hast sie nie gefragt.« Mittlerweile kannte sie mich schon ganz gut.
    »Es war schwer, den richtigen Moment zu finden, da in der Klinik die ganze Zeit für Elektroschocks und fürs Körbeflechten

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