Atme nicht
sie es satthatte, Volleyballgeschichten zu erzählen, nahm ich mir das Buch vor, das ich mitgenommen hatte. Doch obwohl meine Augen den Buchstaben folgten, sah ich im Geiste ständig Val vor mir. Ich legte das Buch wieder beiseite.
Nicki fuhr gut, ohne je zu rasen oder die Straße aus dem Blick zu lassen. »Wie wär’s mit ein bisschen Musik?«, schlug sie vor und schaltete das Radio ein. Sie entdeckte einen Country-Sender und sang laut mit. Gerade als all die Cowboys und ihr Herzeleid anfingen, mir gewaltig auf die Nerven zu gehen, stellte sie die Musik leiser und sagte: »Wie heißt dieses Mädchen noch mal?«
»Val.«
»Val.« Sie wiederholte den Namen, als schmecke sie ihn ab. »Weiß sie, dass du sie magst?«
»Keine Ahnung. Schon möglich.«
»Hast du sie schon mal geküsst?«
Ich lachte. »Nein.«
»Hast du überhaupt schon mal jemand geküsst?«
»Ja.«
Sie spitzte die Lippen, um sich auf die Straße zu konzentrieren. Oder vielleicht auch auf die nächste Frage, die lautete: »Hattest du schon mal Sex?«
»Was? Warum willst du das denn wissen?«
»Aus reiner Neugier. Wir haben mindestens noch eine Stunde Fahrt vor uns. Über irgendwas müssen wir doch reden.«
»Warum erzählst du mir dann nicht von deinem Sexleben?«
Sie runzelte die Stirn. »Willst du das wirklich wissen?«
»Ja, warum nicht.« Ich kurbelte das Fenster runter und ließ mir den Wind ins Gesicht wehen.
»Also, letztes Jahr hatte ich einen Freund. Er war viel älter als ich – und meine Mutter hasste ihn.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Ich hab mit ihm geschlafen, obwohl das wahrscheinlich falsch war. Aber ich fand ihn einfach klasse und war schwer verliebt und so. Doch dann stellte sich raus, dass er während der ganzen Zeit, in der wir zusammen waren, immer noch mit seiner alten Freundin rummachte.«
»Wie bist du denn an ein solches Arschloch geraten?«
Sie verdrehte die Augen. »Er wohnte neben einer meiner Freundinnen.«
»Nein, ich meine, wie bist du überhaupt darauf gekommen, mit ihm zu gehen? So was hast du doch gar nicht nötig.«
Sie lachte verlegen. »Er hatte so tolle Augen. Und wenn er mit mir sprach, senkte er immer seine Stimme.« Sie machte es mir vor. »Als verrate er mir ein Geheimnis, das nur uns beide etwas anging. Jetzt weiß ich natürlich, dass er bloß eine Show abgezogen hat, aber damals wirkte er so aufrichtig . Und dann hatte er noch diesen tollen struppigen Bart …«
»Bart! Wie alt war denn dieser Typ?«
»Achtzehn«, sagte sie, den Blick auf die Straße gerichtet.
Ich wusste, dass sie jetzt fünfzehn war, was hieß, dass dieser Typ drei oder vier Jahre älter als sie gewesen sein musste. »Ist das nicht irgendwie …«
»Sag’s lieber nicht.« Sie verzog den Mund. »Das haben meine Mutter und meine Brüder schon getan. Matt hätte den Typ beinahe zusammengeschlagen. Jedenfalls …« Sie versuchte, eine lässige Handbewegung zu machen, stieß dabei aber an den Rückspiegel. »Aua. Jedenfalls kommt es mir jetzt so vor, als sei das vor langer, langer Zeit passiert. Als ich noch ein dummes kleines Mädchen war.«
Zunächst wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Nachdem wir ein paar Kilometer zurückgelegt hatten, fragte ich: »Mochtest du ihn, weil oder obwohl er älter war?«
»Tja … weil, glaube ich. Ja, weil. Die Typen in meinem Alter sind alle so dumm und unbeholfen.«
Plötzlich wusste ich nicht mehr, wohin mit meinen Beinen und meinen Ellbogen. Ich war ungefähr anderthalb Jahre älter als sie. Galt das in ihren Augen nun als älter oder als gleichaltrig? Dass mir ein Vollbart wuchs, war noch nicht zu erwarten, das stand fest. Ich prüfte nach, ob mir die Haare zu Berge standen, aber die wehten sowieso im Wind hin und her.
»Also ich finde, der war ein Scheißkerl«, sagte ich.
Sie lachte. »Hab ich doch gesagt. Jetzt bist du dran. Bist du noch Jungfrau?«
Ich hatte gehofft, dass sie diese Frage vergessen würde. »Nein.«
»Tatsächlich? Und wer war die Glückliche?«
»Niemand, den du kennst.«
»Bist du da sicher?«
»Sie ging auf meine alte Schule.«
»Komm schon, Ryan, lass Details hören.« Sie schnippte mit den Fingern. »Namen, Daten, wer den ersten Schritt gemacht hat …«
»Lieber nicht.«
»Na, hör mal! Ich hab dir doch auch alles erzählt!«
»Also … es war nur ein Mal, es war nicht gerade die schönste Nacht meines Lebens, und danach hat sie nie wieder mit mir gesprochen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.«
»Mannomann«, meinte Nicki,
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