Atme nicht
so an, als bräuchtest du psychiatrische Hilfe. Vielleicht würde dir ein Aufenthalt im Patterson Hospital …«
»Sehr witzig.«
»Ich persönlich finde: Wenn du aus einem Flugzeug springen willst, dann solltest du es auch tun. Obwohl ich keine Ahnung habe, warum zum Teufel du das möchtest.«
Nachdem wir weitere Mails ausgetauscht hatten, verabschiedeten wir uns voneinander.
Als ich mich umdrehte, fiel mein Blick auf die braune Tüte im Wandschrank. Sofort krampfte sich mir wieder der Magen zusammen. Denk nicht dran, ermahnte ich mich. Heute Abend wollte ich mich einfach nicht wie Scheiße fühlen, sondern mich auf Val freuen.
11
Hinter dem Lenkrad des Trucks wirkte Nicki noch jünger als sonst. »Das wird nie klappen«, sagte ich.
»Klar wird es das.« Sie setzte eine Art Baseballcap mit langem Schirm und der Aufschrift COOZ’S Landwirtschaftsbedarf auf. Immerhin bewirkte die Mütze, dass sie nicht mehr ganz so jung aussah. »Ich mach das ständig. Und bin noch nie von der Polizei angehalten worden.«
Als ich ihr die Wegbeschreibung geben wollte, die ich mir ausgedruckt hatte, winkte sie ab. »Die musst du mir unterwegs vorlesen. Beim Fahren kann ich das nicht.«
Sie ließ den Motor an und legte den Rückwärtsgang ein. »Irgendwie erstaunlich, dass dein Bruder dir einfach so seinen Truck überlässt«, sagte ich.
»Tja, da er möchte, dass ich nicht verrate, was für Pflanzen er hinterm Haus anbaut und wie oft er Mädchen in sein Zimmer schmuggelt, bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Allerdings sagt er immer, falls ich erwischt werde, würde er behaupten, ich hätte die Autoschlüssel geklaut.«
»Na toll.« Ich malte mir aus, wie meine Eltern mich auf dem Polizeirevier abholten. Das würde ihnen endgültig den Rest geben.
»Entspann dich, Ryan. Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein sehr verkrampfter Mensch bist?«
Ich lachte. »Schon oft.«
»Kann ich mir vorstellen.«
Bevor wir auf den Highway fuhren, machten wir bei einem Donut-Laden halt, weil Nicki sagte, sie brauche etwas, »um in Form zu bleiben«. Dieses Etwas erwies sich als großer Kaffee, in den sie einen Spritzer Milch gab und so viel Zucker, dass ich allein vom Zusehen Zahnschmerzen bekam. Außerdem kaufte sie sich einen Donut mit Schokoguss und Himbeerfüllung.
»Diese Schokodinger mit Himbeer gibt es sonst nirgends«, erklärte sie mampfend, als wir wieder in den Truck stiegen. »Deshalb komme ich so oft wie möglich hierher.«
»Ah ja.« Ich trank einen Schluck Wasser. Auf Kaffee hatte ich verzichtet, um nicht noch nervöser zu werden.
»Echt wahr. Willst du mal abbeißen?«
»Nein, danke.«
»Nun komm schon, stell dich nicht so an. Du musst ihn unbedingt probieren.« Sie schob mir den Donut, aus dem rote Marmelade quoll, vor den Mund, bis ich davon abbiss, damit sie endlich Ruhe gab.
»Siehst du? Schmeckt gut, was?«
Der Zuckerguss klebte mir am Gaumen. Die Marmelade war nicht widerlich süß, wie ich erwartet hatte, sondern eher säuerlich. »Ja.«
Sie lachte. »Du hörst dich an, als hätte ich versucht, dich zu vergiften.«
Ich leckte mir die Schokolade von den Lippen und spülte sie mit einem Schluck Wasser runter. Zügig fuhren wir die Ausfahrt zum Highway runter. Während Nicki sich in den Verkehr einfädelte, hielt ich den Atem an, doch sie ordnete sich ganz profihaft in den Strom der Autos ein. Ehrlich gesagt machte sie das besser als meine Mutter, die immer ziemlich ruckartig fuhr.
»Warum wühlst du dir ständig in den Haaren rum?«, fragte Nicki. »Bist du nervös?«
»Natürlich bin ich nervös.« Um sie abzulenken, zeigte ich aus dem Fenster. »Hast du eben den Habicht gesehen?«
»Was für einen Habicht?«
»Da hinten auf dem Lichtmast. Die sitzen überall am Highway und warten auf totgefahrene Tiere.«
»Nein, ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren.«
Der Habicht erinnerte mich ans Fliegen und das wiederum ans Fallschirmspringen. Ich erzählte Nicki von meinem Plan.
»Tolle Idee!«, sagte sie.
»Da sind meine Eltern anderer Ansicht.« Meinem Vater lag diese Sache offenbar immer noch im Magen. Am Morgen hatte er zugesehen, wie ich mein Antidepressivum nahm, was er seit einer Ewigkeit nicht mehr gemacht hatte. Gewöhnlich war meine Mutter diejenige, die dabei aufpasste, und selbst sie handhabte das Ganze inzwischen ziemlich lax. Doch heute Morgen hatte Dad gesagt: »Lass mal sehen.« Dann musste ich ihm die Pille auf der Zunge zeigen, und nachdem ich geschluckt hatte, hatte er meinen
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