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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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getrunken hatte.
    »Ich auch nicht.« Mein Mund war so trocken, dass ich auch gern etwas getrunken hätte, doch ich hatte meine halb volle Dose auf dem Picknicktisch stehen lassen. Und sie um einen Schluck zu bitten, kam nicht infrage. Wenn ich aus ihrer Dose getrunken, mit meinem Mund die Stelle berührt hätte, wo ihrer gewesen war, hätte das so gewirkt, als wolle ich das fortsetzen, was eben angefangen hatte. Was immer das sein mochte.
    Sie hielt mir ihre Dose hin. »Möchtest du einen Schluck?«
    Ich zuckte zusammen.
    »Was ist denn?«
    »Gar nichts. Das war nur so, als hättest du eben meine Gedanken gelesen.« Vorsichtig griff ich nach der Dose, als könne ich mich am Metall verbrennen.
    Sie lachte. »Ich dachte, du glaubst nicht an Hellseherei.«
    »Ha, ha.« Ich nahm einen Schluck. Am liebsten hätte ich den Rest der Limonade hinuntergekippt, riss mich aber zusammen.
    »Jedenfalls kann ich deine Gedanken nicht lesen, das kannst du mir glauben.«
    »Ich wünschte, du könntest es«, erwiderte ich. »Dann könntest du mir sagen, was zum Teufel gerade in meinem Kopf vorgeht.«
    »Ryan, ich weiß ja noch nicht mal, was in meinem Kopf vor sich geht.«
    Ich konzentrierte mich auf das Scheinwerferlicht der Autos auf der Gegenfahrbahn, um mich von dem abzulenken, was sich in meinem Innern abspielte.
    »Ich weiß nicht, was hier abläuft«, sagte Nicki. »Ich bin … verwirrt.«
    »Hey, ich war mein ganzes Leben verwirrt.« Ich zerrte am Sicherheitsgurt und brachte meine Beine in eine andere Position, um nicht mit den Knien gegen das Handschuhfach zu stoßen.
    Wir schwiegen eine Weile. Die glänzend nasse Straße spiegelte das Licht der Scheinwerfer wider. Ich versuchte abzuschätzen, wie weit Nicki und ich voneinander entfernt waren. Dreißig Zentimeter? Sechzig? Mal kam mir der Abstand so gering vor, dass sich mein Atem beschleunigte. Und dann wieder hatte ich den Eindruck, als sei das Lenkrad kilometerweit entfernt.
    »Aber manchmal ist es ganz okay, verwirrt zu sein«, meinte sie schließlich.
    »Das hoffe ich«, gab ich zurück. »Weil das eins der wenigen Dinge ist, worin ich gut bin.«
    Sie trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. »Lach mich jetzt bitte nicht aus, aber … aber ich hab mir mal ein Buch aus der Bücherei geholt, über einen buddhistischen Lehrer, der immer zu seinen Schülern gesagt hat, es sei okay, etwas nicht zu wissen. Ich glaube, damit meinte er, dass man Antworten nicht erzwingen soll.«
    »Warum sollte ich dich denn auslachen?«
    »Keine Ahnung. Kent zieht mich immer durch den Kakao, wenn ich so was lese oder über solche Sachen nachdenke. Weil er mich für dumm hält.«
    »Du bist nicht dumm.« Ich beobachtete, wie die Scheibenwischer hin und her gingen.
    Nachdem wir einige Kilometer zurückgelegt hatten, schaltete Nicki das Radio ein und summte leise mit. Auf der Herfahrt hatte sie laut mitgesungen.
    Ich gab ihr die Limonade zurück. »Danke«, sagte ich.
    Ich hatte mich fast wieder okay gefühlt, doch dann kam mir die ganze Geschichte mit Val erneut in den Sinn. Sobald ich an sie dachte, wurde mir mulmig zumute. Deshalb hörte ich auf, an sie zu denken. Obwohl es noch regnete, kurbelte ich das Fenster runter und ließ mir den Wind ins Gesicht wehen, damit er mir alle Gedanken aus dem Kopf blies.
    Ich tappte durch das dunkle Haus und ging in die Küche, um irgendetwas zu essen aufzutreiben. Dad war am Vormittag wieder zu einer Geschäftsreise aufgebrochen, Mom saß oben am Computer. Ohne das Licht anzuschalten, machte ich mir in der Mikrowelle ein Fertiggericht warm, das ich, an der Spüle stehend, gleich aus der Plastikschale aß.
    Dann meldete ich mich bei meiner Mutter zurück. Sie hatte mir im Laufe des Tages vier oder fünf Mal eine SMS geschickt, die ich alle beantwortet hatte, damit sie nicht in Panik geriet. »Du siehst ein bisschen blass aus«, stellte sie fest, hatte aber ansonsten nichts an mir auszusetzen.
    Ich war kaum in meinem Zimmer, als ich eine Mail von Val bekam: »Ich hoffe, du bist okay. Ich hoffe, du verstehst mich.«
    »Mach dir darüber keine Gedanken«, schrieb ich zurück.
    Als ich ins Bett ging, spukten mir immer noch Val und Nicki im Kopf herum. Val, die vor mir zurückwich. Nicki, die die Arme um mich schlang. Ich träumte von beiden, wachte von Zeit zu Zeit auf, um sofort an sie zu denken. Einmal meinte ich, das Telefon klingeln zu hören, war mir aber nicht sicher, ob ich das nur geträumt hatte. Später wurde ich aus dem Schlaf gerissen, weil meine

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