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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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wider, während die Kälte bis zu meinen Knochen vordrang.
    »Die Ärzte teilen dir mit, er habe Depressionen. Und das nach allem, was du für ihn getan hast. Seine Windeln hast du gewechselt, und mitten in der Nacht bist du aufgestanden, um sein Erbrochenes wegzuwischen. Du hast ihm alles gegeben, was er haben wollte. Aber offenbar war das nicht genug. Du hast dein Bestes getan, aber es war nicht genug.«
    Mittlerweile sprach sie immer abgehackter. Vielleicht war sie aber auch kurz davor, in Tränen auszubrechen, und hatte ihre Stimme nicht mehr unter Kontrolle. »Er hat Depressionen. Warum hat er Depressionen? Die Ärzte können es dir nicht sagen. Er will es dir nicht sagen.«
    Ich streute Pfeffer neben das Salz. Sie legte ihre Hand auf meine. Ich fuhr erschrocken zusammen. Ihre Hand war kühl und feucht. Als ich die Feuchtigkeit auf meiner Haut spürte, fing diese an zu jucken. »Ryan«, sagte sie.
    »Ich weiß nicht, warum ich Depressionen hatte«, erwiderte ich. Es hatte nicht nur daran gelegen, dass Amy Trillis mich gehasst hatte beziehungsweise – was noch schlimmer war – gemeint hatte, dass ich es noch nicht mal wert sei, gehasst zu werden. Es hatte nicht nur daran gelegen, dass ich fast alles verloren hatte, was mir etwas bedeutete: Baseball, Joggen, meine alte Wohngegend, meine alte Schule.
    »Danach habe ich dich gar nicht gefragt. Warum hörst du mir denn nicht zu?«
    Hatte sie nicht genau danach gefragt? Obwohl ich ihr zuhörte, war nach wie vor diese Kluft zwischen uns, diese Glasscheibe. Wenn sie keine Erklärung von mir haben wollte – die gleiche Erklärung, die Nicki von ihrem Vater haben wollte –, was wollte sie dann?
    Sie schluckte schwer und fuhr fort: »Dann kommt dein Sohn aus der Klinik zurück. Du suchst dir einen Job, der es dir erlaubt, ständig mit ihm zu Hause zu sein, obwohl er sich bei jeder Gelegenheit in den Wald verdrückt. Du hast Angst, ihn aus den Augen zu lassen, tust es aber trotzdem, weil er wieder unter Menschen muss und sein Leben selbst bestimmen sollte. Zumindest behauptet das sein Vater, und du hoffst, dass er recht hat. Das Problem dabei ist, dass du unter ständiger Spannung stehst, die nie nachlässt. Nie.«
    Ich senkte den Kopf, wie Val es oft tat, während meine Mutter weiterredete. Und weiterredete. Anscheinend sagte sie all das, was sie mir seit jener Nacht in der Garage hatte sagen wollen. Ihre Stimme prasselte auf mich ein wie der Wasserfall, unter den ich mich immer stellte. Ich zählte die Salz- und Pfefferkörnchen, die auf dem Tisch lagen, und war nicht mehr in der Lage, ihren Worten irgendeine Bedeutung abzugewinnen.
    Die Glasscheibe zwischen uns wurde so dick, dass ich meine Mutter nicht mehr hören konnte. Ich hörte nichts mehr, ich fühlte nichts mehr. Die Übelkeit in meinem Magen verdichtete sich zu einem schweren Klumpen.
    Abrupt hörte Mom auf zu reden. Dann sah sie sich im Restaurant um, als sei sie gerade von Außerirdischen hier abgesetzt worden und müsse herausfinden, wo sie sich befand. Anschließend drehte sie sich mir wieder zu und schaute mich mit erwartungsvollem Blick an. Doch ich brachte kein Wort heraus.
    »Hörst du mir noch zu, Ryan?«, fragte sie.
    Ich verrieb das Salz auf dem Tisch, spürte jedoch kein Piken mehr. Es fühlte sich nur noch tot und glatt an.
    Sie wischte sich den Mund ab und nestelte an ihrer Serviette herum. »Verdammt noch mal. Eigentlich wollte ich damit bis zum nächsten Besuch bei Dr. Briggs warten.« Das letzte Mal hatte ich meine Mutter fluchen hören, als meine Eltern mich in die Klinik gebracht hatten, doch selbst dieser ungewohnte Ausbruch hinterließ noch nicht mal einen Kratzer auf der Glasscheibe. Sie schob mir mein Glas Wasser hin. »Trink einen Schluck. Bist du okay?«
    Ich starrte auf das Glas und dachte bei mir Wasser, Wasser, um mir in Erinnerung zu rufen, was das eigentlich war. Um in die Gegenwart und das Restaurant zurückzufinden. Ich sehnte mich danach, mich vom Wasserfall aus meiner Erstarrung reißen zu lassen. Gleichzeitig fiel mir ein, dass Dr. Briggs von einer Extrasitzung zusammen mit meiner Mutter gesprochen hatte, eventuell im September.
    »Verdammt noch mal. Das habe ich völlig falsch angepackt.« Mom klaubte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich wollte dir nur sagen … dass ich wünschte, wir hätten gewusst, was wir tun sollen … dass wir unser Bestes getan haben … und das wollte ich auf die richtige Weise sagen … und dann diese Sache mit Jake … da bin

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