Atme nicht
aus und zusätzliches Geld würde mich zu sehr verwöhnen.
Die Sache wurde zur Routine. Immer wenn Frank zu Besuch kam, fand er eine Gelegenheit, mich ins Schlafzimmer mitzunehmen und die Hose runterzulassen. Danach gab er mir dann Geld und schärfte mir ein, nichts zu verraten. Ich dachte immer noch, es gehe darum, das mit dem Geld geheim zu halten, obwohl er inzwischen damit angefangen hatte, sich zu reiben, während ich zusah, was ich merkwürdig fand, aber ohne mir groß Gedanken darüber zu machen. Wenn mich etwas beunruhigte, dann die Art und Weise, in der er mich immer anstarrte, als warte er darauf, dass ich etwas sagte, ihm etwas mitteilte. Seine Augen schienen um etwas zu bitten, doch ich hatte keinen Schimmer, worum.
Eines Tages vergaß ich, meine Hosentaschen zu leeren und das Geld in einem Kästchen zu verstecken, bevor ich meine Kleidung in den Wäschekorb warf. Kurz darauf kam meine Mutter zu mir, in einer Hand meine Hose, in der anderen die Scheine.
»Von wem hast du das?«, fragte sie.
»Von niemand.« Was natürlich eine blöde Antwort war, aber ich war damals erst fünf oder sechs. Was Besseres fiel mir auf Anhieb nicht ein.
»Hast du es aus Daddys Portemonnaie genommen? Oder aus meinem?«
»Nein.« Da das die Wahrheit war, konnte ich ihr dabei in die Augen sehen.
»Hast du es Onkel Frank gestohlen, als er hier war?«
Jetzt wandte ich den Blick ab.
Sie packte mich bei der Schulter. »Hast du es ihm gestohlen?«
»Ich hab es nicht gestohlen. Er hat es mir gegeben.«
»Nun, dann wirst du es eben zurückgeben. Geschenke bekommst du nur bei besonderen Gelegenheiten, das weißt du.«
»Das war kein Geschenk. Das hat er mir fürs Zusehen gegeben.« Ich war so erpicht darauf, zu beweisen, dass ich im Recht war, dass ich vergessen hatte, dass es ein Geheimnis war.
»Fürs Zusehen wobei?«
Erst da fiel mir ein, dass ich nichts verraten sollte, doch meine Mom setzte mir so lange zu, bis ich ihr schließlich alles erzählte. Inzwischen hatte ich begriffen, dass die ganze Situation irgendwie seltsam war, doch ich dachte, wenn sie erfuhr, wie harmlos alles war, würde sie lachen und mich das Geld vielleicht sogar behalten lassen. Jedenfalls erwartete ich nicht, dass sie Augen und Mund aufriss, entsetzte Schreie ausstieß, ständig sagte: »Was? Was ?«, und ich ihr die ganze Sache wieder und wieder erzählen musste. Und ich erwartete auch nicht, plötzlich das Gefühl zu haben, als hätte ich etwas wirklich Schlimmes getan – viel schlimmer, als nur ein bisschen Geld zu verstecken.
Tatsache war, dass mir das mit dem Geld gefallen hatte.
Tatsache war, dass ich über die ganze Angelegenheit nicht viel nachgedacht hatte. Die Erwachsenen verlangten ständig Dinge von mir, die keinen Sinn ergaben: in den Gängen der Schule nur auf der einen Seite zu laufen; mich hinzusetzen, wenn sie es sagten, und aufzustehen, wenn sie es sagten; löffelweise grässlich schmeckendes Zeug zu schlucken, das sie »Medizin« nannten; mir in einem Raum, der nach Alkohol roch, von einem fremden Mann, den man »Arzt« nannte, mit einem Holzstäbchen die Zunge runterdrücken zu lassen, bis es mich würgte.
Tatsache war, dass ich mich nicht bedroht gefühlt hatte, obwohl Franks seltsamer Blick mir Unbehagen bereitet hatte. Alles in allem hatte ich das Gefühl gehabt, als wäre eine Glasscheibe zwischen uns, als würden wir einander wie im Zoo aus sicherem Abstand betrachten, ohne direkt miteinander zu tun zu haben.
»Hat er dich angefasst?«, fragte meine Mutter zigmal. Mein Vater ebenfalls. Und auch der Arzt, zu dem sie mich brachten. Nein, das hatte er nicht. Aber das schien mir niemand zu glauben, sodass ich mir vorkam wie ein Lügner, obwohl ich das gar nicht war.
Ich schob mich vom Kühlschrank weg, ging nach oben und zog trockene Sachen an. Die Schlafzimmertür meiner Mutter war zu; vermutlich zog sie sich gerade um. »Sobald es dir passt, können wir zur Klinik fahren«, teilte ich der Tür mit.
Sie steckte den Kopf zur Tür raus. Mittlerweile hatte sie sich gekämmt und Lippenstift aufgetragen. »Bin in einer Minute fertig«, sagte sie.
15
Auf der langen Fahrt zum Patterson Hospital redeten wir nicht viel miteinander. Mir fiel ein, dass meiner Mutter dieser Weg wesentlich vertrauter war als mir. Ich hatte ihn nur zwei Mal zurückgelegt – bei meiner Einweisung und bei meiner Entlassung aus der Klinik –, sie hingegen unzählige Male, da sie mich regelmäßig besucht hatte.
Unterwegs fing es an zu regnen.
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