Atme nicht
haben? Dabei war Selbstverbrennung nie mein Ding gewesen. Ich hatte gehört, dass Verbrennungen zu den schmerzhaftesten Verletzungen gehörten, die man haben konnte, und mein Ziel hatte ja darin bestanden, Schmerzen zu vermeiden, das heißt so schnell wie möglich in den ewigen Schlaf zu sinken. Aber wer würde mir glauben? Wenn schon die Idee mit dem Fallschirmspringen meine Eltern in Panik versetzt hatte, konnte man sich gut vorstellen, wie sie auf einen Waldbrand reagieren würden.
Darüber hinaus zweifelte ich daran, dass ein Brand den Pullover völlig vernichten würde, selbst wenn die Fingerabdrücke vielleicht beseitigt worden wären. Die Stelle, wo ich ihn verbrannt hatte, würde zu einem neuen pinkfarbenen Pullover für mich werden – zu einem Ort, den ich mied, um den aber ständig meine Gedanken kreisten.
»Ich glaube, das mit dem Verbrennen ist keine gute Idee«, sagte ich.
»Tja, es gibt noch eine Menge anderer Möglichkeiten, falls du ihn wirklich loswerden willst.«
»Will ich«, erwiderte ich. Vorgenommen hatte ich mir das schon zigmal, doch im Unterschied zu früher glaubte ich jetzt, dass ich es eines Tages vielleicht tatsächlich schaffen würde.
Nachdem ich alles gestanden hatte, verstummte ich. Die Finsternis brach herein, als würde sie sich in mich hineinfressen oder ich mich in sie. Nicki hatte sich wieder auf dem Gras ausgestreckt, ohne die Hand von meinem Knie zu nehmen. Als ich meine Hand sinken ließ, landete sie zufällig in ihrem Haar. Da Nicki nichts dagegen zu haben schien, ließ ich die Hand, wo sie war. Die Grillen und Zikaden zirpten, was das Zeug hielt.
»An die Sache mit den Medien hast du nie geglaubt, oder?«, fragte Nicki.
»Stimmt.«
»Meinst du, dass es so was wie ein Leben nach dem Tod gibt?« Sie legte die Hand aufs Gras, das die Toten unter uns bedeckte. »Dass man in den Himmel kommt oder wiedergeboren wird oder so?«
»Manchmal glaube ich schon daran, aber möglicherweise nur, weil ich mir wünsche, dass es das gibt.«
»Du hast gesagt, du dachtest, es wäre wie Schlaf.«
Ich kratzte mich am Kopf. »Ja.«
»Und das wolltest du? Einfach nur schlafen? Für immer und ewig? Hat dir die Vorstellung, dass du bestimmte Dinge nie wieder würdest tun können, denn gar nichts ausgemacht?«
»Also, nachgedacht habe ich schon darüber. Vielleicht habe ich es deswegen so lange aufgeschoben. Aber ich habe auch an die ganze Scheiße gedacht, die mir ein für alle Mal erspart bleiben würde.«
»Trotzdem. Für immer und ewig? «
»Na, ich bin ja noch hier, oder?«
Sie schwieg, und ich glaubte, das Gras atmen zu hören, auf dessen Halmen sich immer mehr Tautropfen bildeten.
»Darf ich dir was erzählen?«, fragte Nicki.
»Klar.«
»Aber dann musst du dich neben mich legen.«
Ich streckte mich neben ihr aus. Sie schmiegte sich an mich. »Schwöre, dass du es niemandem verraten wirst«, flüsterte sie mir ins Ohr.«
»Ich schwöre.«
Sie seufzte leise. »In der Woche, bevor mein Dad starb, ist er mit mir nach Funworld gefahren.«
»In den Vergnügungspark?«
»Ja.«
Ich wartete.
»Dafür hat er extra die Arbeit geschwänzt.« An meiner linken Seite spürte ich ihren warmen Körper, am Rücken den kalten Erdboden. Die Wärme und die Kälte trafen irgendwo in meinem Innern aufeinander, als hätte ich Fieber.
»Das hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht«, sagte sie, »weil nur wir zwei hingefahren sind. Wenn wir einen Familienausflug gemacht haben, wollte Matt ständig Achterbahn fahren, und Kent wurde nach drei Fahrten immer schlecht. Doch dieses eine Mal konnte ich auch mit dem Karussell und allem andern fahren.«
Ich hörte zu. Ihr Atem kitzelte mir im Ohr, einige verirrte Haarsträhnen schlängelten sich über meinen Hals.
»Aber er hat deshalb Ärger bekommen. Er war zu oft nicht zur Arbeit gegangen. Darum wurde er gefeuert und das hat ihn völlig fertiggemacht.« Ich spürte nur noch ihren Atem in meinem Ohr und schloss die Augen. »Jeder in meiner Familie weiß, dass er gefeuert wurde und dass das wahrscheinlich der Grund dafür ist, warum er sich umgebracht hat. Aber keiner von den anderen weiß etwas von diesem Tag im Vergnügungspark. Er sagte, Mom würde stinksauer sein, weil er blaugemacht hat, und Matt und Kent würden sich ausgeschlossen fühlen. Deshalb haben wir niemandem etwas davon erzählt.«
Ich hörte weiter zu und wartete auf das große Geheimnis oder was immer es sein mochte, das sie mir nur flüsternd mitteilen konnte.
»Meine Mutter
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