Atme nicht
und meine Brüder wissen immer noch nichts davon.«
»Aha.«
Die Grillen zirpten. Nicki atmete mir nach wie vor ins Ohr. »Wenn ich ihn überredet hätte, stattdessen zur Arbeit zu gehen …«
»Es war nicht deine Schuld.« Plötzlich begriff ich, worin das große Geheimnis bestand – in nichts weiter als dem, was sie mir bereits erzählt hatte. Sie führte den Tod ihres Vaters auf diesen einen Tag im Vergnügungspark zurück, so wie meine Mutter meine Probleme auf die Geschichte mit Onkel Frank zurückführte.
»Wenn er nicht mit mir nach Funworld gefahren wäre, wäre er nicht gefeuert worden.«
»Das weißt du doch gar nicht. Außerdem hast du gesagt, dass er nicht nur wegen dieses einen Tages gefeuert wurde, sondern oft nicht zur Arbeit gegangen ist.« Ich drehte mich ein Stück zur Seite, damit ich den Arm um sie legen konnte.
Sie schüttelte frustriert den Kopf, weil sie annahm, dass ich ihre Schuldgefühle nicht verstand, nicht begriff, dass sie in dieser Geschichte die eigentlich Schuldige war. Doch Tatsache war, dass ich genau verstand, was sie meinte.
18
»Wo bist du gewesen?«, fuhr meine Mutter mich an, als ich zur Tür hereinkam. Ich hatte unser tägliches Kontrollgespräch versäumt. Hinzu kam, dass sie und mein Vater mich seit der Diskussion übers Fallschirmspringen noch mehr im Auge behielten als sonst. Und Jakes Wiedereinlieferung in die Klinik hatte auch nicht gerade zu ihrer Beruhigung beigetragen. »Ich habe ständig versucht, dich anzurufen!«
»Oh … ich hatte das Handy abgeschaltet und vergessen, es wieder anzuschalten.« Mir wurde klar, dass ich von Glück sagen konnte, dass sie nicht die Polizei alarmiert hatte, um nach mir suchen zu lassen.
»Wenn du es nicht fertigbringst, das Handy eingeschaltet zu lassen, solltest du vielleicht lieber zu Hause bleiben.«
»Tut mir leid.«
»Ich muss in der Lage sein, dich jederzeit zu erreichen. Wo warst du denn?«
Ich zog mir die Schuhe aus. »Mit Nicki zusammen.«
»Dem Mädchen mit den vorstehenden Zähnen? Schon wieder?« Sie folgte mir durchs Wohnzimmer in die Küche.
»Sag das bitte nicht so, als sei das ihre hervorstechendste Eigenschaft.«
»Es gefällt mir nicht, dass du unbeaufsichtigt mit ihr durch die Gegend ziehst.«
»Wieso das?« Ich öffnete den Kühlschrank und inspizierte den Inhalt: Diätjoghurt, Diätsaft, Diätcola. Igitt. Ich nahm eine Pflaume heraus und rieb mit dem Daumen den silbrigen Reif weg, der sich auf der Schale gebildet hatte.
»Weil dabei leicht etwas passieren könnte.«
»Du meinst, sie könnte schwanger werden? In dem Sinne ist sie nicht meine Freundin, Mom.«
Ihre Lippen kräuselten sich. »Es geht nicht nur darum, sondern auch um Alkohol, Drogen …«
»Wir trinken weder Alkohol noch nehmen wir Drogen.« Wir fahren bloß im Truck ihres Bruders herum und suchen ein Medium nach dem andern auf, um mit dem Geist ihres Vaters zu kommunizieren.
»Was macht ihr dann?«
»Nichts Besonderes. Hängen einfach rum und unterhalten uns.«
Ich biss in die Pflaume. Mom sah mich so durchdringend an, als erwarte sie, dass ich gestand, Nicki und ich würden Rohrbomben basteln oder im Wald Orgien feiern. Doch ich hatte nichts zu sagen. Nachdem ich das Fruchtfleisch abgenagt hatte, warf ich den Kern der Pflaume in den Mülleimer. Moms Gesicht war inzwischen knallrot geworden. Mir fiel ein, was sie gestern im Diner alles gesagt hatte. Meine Hand fing an, nervös zu zucken, und ich ballte sie zur Faust. »Tut mir leid«, sagte ich. »Ich hätte mein Handy checken sollen.«
Sie runzelte die Stirn und zog den Müllbeutel an der Kante des Eimers gerade. »Ich habe mit Jakes Mutter gesprochen. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.«
»Und was heißt das?«
Sie seufzte. »Das weiß ich auch nicht so genau.«
Ich ging in mein Zimmer hoch und checkte meine Mails. Von Val waren gleich zwei da. Ich klickte die erste an.
»Danke, dass du mir Bescheid gegeben hast. Ich bin froh, dass du zur Klinik gefahren bist, auch wenn du Jake nicht sehen durftest. Zumindest wird er erfahren, dass du da warst.
Ich habe befürchtet, dass etwas in der Art passieren würde – wir haben ja gerade erst darüber gesprochen. Aber wenn man dann hört, dass er sich die Pulsadern aufgeschnitten hat, ist alles noch viel schlimmer. Ich versuche immer, innerlich auf solche Sachen vorbereitet zu sein, aber ohne Erfolg.
Wie kommst du denn damit klar?«
Da ich den ganzen Tag mit Nicki unterwegs gewesen war, hatte ich diese Mail nicht
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