Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)
und waren wie jeden Tag, bereits als es öffnete, im Freibad, wo wir das dicke Weib beobachteten, wie es aus der Blockhütte kam, den Metallriegel zurückstieß und die Klappe aufstellte, die dem Kiosk im Freibad als Sonnenschutz diente. Sie rollte den Zeitungsständer heraus, zog die Tücher von der Auslage, und da lagen sie. Brausestäbchen, Gummizungen, Lutscher, Bazooka, Ahoitütchen, Zuckerperlenketten, Karamellbonbons, Lakritzschnecken, Marshmallowmäuse. Der Kühlschrank war aufgefüllt mit Bier und Blunaflaschen, die Eistruhe mit Waffeleis, Bechereis und Wassereis am Stiel. Capri, Nogger, Dolomiti. Wir kauerten im Gebüsch und warteten. Noch lag die Blockhütte im Schatten, ein neuer langer Badetag begann. Behände stieg die Dicke jetzt aus den Kleidern und in den Badeanzug mit den Plastikschalen für die Brüste, eilte ans Ufer, tupfte sich Wasser ans Dekolleté und warf sich ins moorige Grün des Waldsees. Spinnweben glitzerten an den Zweigen, am Ufer stand im silbernen Funkeln der bläuliche Körper einer Libelle. Wir schlichen in das Blockhaus, in dem die doofe Gine auf einem Hocker saß und auf den Holzboden glotzte. Pauline schmeichelte sich bei ihr ein, fragte, ob sie ihre Freundin sein wolle, und ich steckte mir den Mund voll Süßigkeiten, griff mit der vollen Hand in das Plastikfach mit den Zuckerperlenketten, bis Pauli mich am Arm zerrte und wir davonrannten ans andere Ende der Wiese, wo uns die Dicke nicht sehen konnte. Kurze Zeit später schrie und polterte es im Blockhaus, die Huber hatte den Diebstahl entdeckt und verdächtigte ihre Tochter, die ihn lallend bestritt, es klatschte, und die doofe Gine heulte laut.
Die Kette um den Hals, den Gummifaden zwischen den Zähnen, ließen sich die Perlen mit der Zunge fassen und eine um die andere mit dumpfem Knacken zerbeißen, Zuckerstückchen, Speichel, süßer Brei rannen die Kehle hinab. Wir hatten die doofe Gine, die jetzt ganz in unserer Nähe im Busch saß, längst bemerkt, taten aber, als sähen wir sie nicht, kicherten und lachten laut. Ich hatte mir eine Kette um den Kopf gewickelt, je eine um die Arme und Fußgelenke, den Rest trug Pauline um den Hals, und weil sie dünn wie eine Birke war, auch eine um den Bauch. Ich biss ihr Perlen von den Hüften und in den Nabel, dass sie schrie, ich rannte weg, sie mir nach, noch vor dem Ufer hatte ich die Ketten abgeworfen und warf mich spritzend ins grünlich kühle Nass. Pauline folgte mir und tunkte mich unter Wasser, bis ich fast im Schlamm versank und sie, um freizukommen, wieder biss, jetzt in den Schenkel. Auf dem Gras verstreut lagen die bunten, nur noch locker gereihten Zuckerketten, doch als wir sie später wieder aufsammeln wollten, waren alle weg. Die doofe Gine hatte ihre Chance abgewartet und genutzt. Mit blauen Lippen flitzten wir zwischen den Taschen und Tüchern der Badegäste hindurch, am Seeufer entlang in den Wald, wo wir Gine fanden, die alle Ketten bis auf eine in den Kiosk zurückgebracht hatte. Sie aß die Zuckerperlen nicht einmal, sondern hielt die Kette gegen den blauen Himmel und zählte, langsam, laut. »Drei, fünf, neun, achtzehn, elfundzwanzig.« Wir warfen uns auf das Mädchen und begruben es unter uns. Pauline legte den Arm auf seine Kehle und drückte ihm mit dem ganzen Gewicht die Luft ab. Gine keuchte, aber sie schrie nicht. Schnappend öffnete und schloss sich ihr Mund, die lange Zunge trat hervor und bewegte sich wie ein riesenhafter Regenwurm, der zu plötzlich ans Licht gekommen ist. Als ihr Gesicht dunkelrot war und die Augen dick wurden, sagte ich, komm, lass mich mal, und widerwillig hob Pauline ihren Arm weg. Die Hände um Gines Hals gelegt, drückte ich zu. Langsam und mit wenig Kraft zuerst, steigerte ich die Umklammerung und sah, wie die Augen aus den Höhlen quollen. Gine ruderte mit den Armen und strampelte mit den Beinen, auf die Pauli sich jetzt setzte, und ich drückte noch fester, bis Gine aufhörte zu strampeln und nur noch ab und zu die Hand ein wenig hob, als winkte sie einen müden Abschied. Dann lag sie still und starrte aus ihren dummen Augen in die Tannenwipfel. Auch ihr Brustkorb hob sich nicht mehr. Pauline schüttelte mich und sagte: »Hör auf.« Doch ich konnte die Klammer meiner Hände nicht öffnen, bis Pauline mich von Gine runterschob und ich auf den Waldboden fiel. Das dicke Mädchen keuchte leise. Pauline hob die Faust und brachte sie ganz nahe vor das Gesicht der Blöden.
»Tu das nie wieder, sonst machen wir dich kalt.«
»Mu
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