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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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dunkle Haar hatte sie im Nacken zu einem Chignon gewunden, den eine Strähne verlassen hatte, um sich den Hals hinunter zu schlängeln, eine zweite sprang aus der Mitte des Knotens hervor und sondierte wippend den Raum. Die Frau schien nur aushilfsweise zu arbeiten, denn ich sah sie nur dann und wann. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen, die mit vorgerecktem Brustkorb lautlos durch den Raum huschten und plötzlich neben einem stehen konnten, fragend, ob man noch was wünsche, ging sie langsam und aufrecht, fast suchend durch den Raum, als wäre sie nicht zum Servieren hier, sondern ein Gast auf der Suche nach einem freien Platz. Manchmal stand sie da, als wartete sie darauf, dass ihr jemand den Stuhl zurechtrückte oder den Mantel abnahm. Rief einer der Gäste, schlenderte sie an seinen Tisch, blieb dort länger als nötig, begann eine Plauderei, wischte mit dem Lappen herum, zupfte an den Trockenblumen oder zündete die Kerze in der Mitte des Tischs an. Sie schien jeden zu kennen und brachte die Essensgedecke und Kuchenteller mit großzügiger Miene, Stolz im Blick, als hätte sie die Köstlichkeiten selbst zubereitet. Genauso brachte sie mir, kaum dass ich mich gesetzt und den Schal abgebunden hatte, einen doppelten Espresso und ein Glas Wasser mit einem Lächeln, als hätte sie mich schon lange erwartet, und als wäre der lästige unpersönliche Bestellvorgang doch unnötig und jenseits der tiefen Beziehung, die uns verband. Sie stellte das Tablett ab und blieb neben mir stehen, um mir über die Schulter auf den Skizzenblock zu sehen, den ich schnell schloss. Schweigend rührte ich im Kaffee, bis sie sich entfernte. Im Gehen streifte sie mit der Hüfte meine Schulter, schlenderte zurück hinters Buffet, wo sie die Glasschiebetüren öffnete, eins der Gläser herausnahm, es polierte, prüfend gegen das Licht hielt und zurückstellte, bevor sie die Schiebetüren wieder schloss, und eine der Schubladen an der Unterseite der Theke aufzog, ich hörte Flaschen klingen, sie schob die Lade wieder zu, drehte den Wasserhahn auf und warf ein paar Worte durch das Servierfenster in die Küche, wo gelacht wurde, zündete sich eine Zigarette an, drehte den Wasserhahn wieder zu, legte die Zigarette ab und sah sich im Raum um. Dem Alten am Tisch neben mir wuchsen borstige Haare aus Ohren und Nase. Unter dem Tisch lag sein Cockerspaniel und zuckte prüfend mit den Augenbrauen. Jetzt winkte der Alte ihr, doch sie sah ihn nicht, sondern blies Rauch aus und nestelte an ihrer Frisur. Er hockte mit gebeugtem Rücken und starrte auf sein leeres Glas. Als sie es bemerkte, kam sie zu ihm, wischte auf seinem Tisch herum und zog das Portemonnaie unter der Schürze hervor. Der Alte sah mit traurigen Augen zu ihr auf, und sie brachte ihn mit zwei Sätzen zum Lächeln, dann zum Lachen. Sie sprach Mundart, sehr breit, die ich nur mühsam verstand. Ihr Haarzipfel sprang wieder aus dem Knoten hervor und wippte, als sie den Alten am Arm stützte, damit er aufstehen konnte. Lockend sprach sie mit dem Hund, grub ihre Hand in das Fell hinter seinen Ohren und kraulte ihn. Bestimmt wäscht die sich nachher nicht die Hände, dachte ich böse, doch genau das tat sie, nachdem sie den beiden die Tür aufgehalten und sie verabschiedet hatte.
    Die Frau gefiel mir, und ich war mir selber peinlich. Eine ungute Mischung, die mich wütend machte. Paules Dinge hatte ich weggeräumt, sie war aus meinem Leben ganz und gar verschwunden, doch statt sie zu vergessen, dachte ich umso mehr an sie, nun voller Wut. Wie rote Farbe, die aus Pinselhaaren in klares Wasser fließt, mischte sich die Wut in mein Leben, in die kurzen Treffen mit Alice spätnachts, wenn alle Kinder schliefen, in meinen Blick auf diese freundliche Frau, der ersten seit Langem, die mir wirklich gefiel. Kein Anruf, kein Brief, keine Nachricht. Keine Erklärung oder Entschuldigung, nichts. Die Hoffnung, dass Paule zurückkäme, um ihre Mutterpflichten wahrzunehmen, war mir irgendwo zwischen den Untersuchungen, verklebten Schoppenflaschen und den Abfallsäcken voll stinkender Windeln abhandengekommen. Ich lebte ziellos von einer Stunde zur nächsten, hangelte mich durchs Leben, Tag für Tag, während die rote Wut, die heiße Wut in mir herumschwappte und ich sie über jemandem ausschütten wollte, wie dieser Kellnerin mit dem wiegenden Schritt und den quecksilbrigen Augen. Wieder stand sie hinter dem Tresen, rauchte und polierte Gläser. Unsere Blicke begegneten sich, was ärgerlich war, denn ich

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