Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
Vom Netzwerk:
versuchte, während ich skizzierte, sie so unauffällig und beiläufig zu betrachten, dass sie sich nicht beobachtet fühlte, vor allem, dass sie mir nicht in die Augen sehen und mich mit ihrem Blick irritieren konnte, wie jetzt. Schnell zeichnete ich die seltsamen Augen der Frau, die übergroße Iris ohne scharfe Trennlinie zur Pupille und mit doppelten Lichtreflexen, sodass ihr Blick etwas Unstetes und Unheimliches bekam, da trat sie schon wieder neben mich, brachte noch einen Kaffee, noch ein Glas Wasser. Ich schlug eben noch rechtzeitig den Skizzenblock zu, bevor mich eine Welle ihres Parfumöls überschwemmte und ich mich in einem trotz der Hochsommersonne verdunkelten Zimmer wiederfand, wo Räucherstäbchen glimmten, ein Joint rumging und auf dem Plattenteller Riders in the Storm drehten. Einer dieser stillen Sonntagnachmittage auf dem Land, an denen wir auf Matratzen rumhingen, nachdem das Familienprogramm mit Kirchgang und Sonntagsbraten absolviert war. Mehr eine Ahnung als ein Fühlen war die Hand, die mir über den Hals hinab ins Hemd glitt, während Lider schwerfällig sanken, das Zimmer hinter dem Gitternetz halb geschlossener Wimpern verschwand, sich verdüsterte und im Schwarz versank, etwas an meinem Ohr entlangwischte und kühle Luft über die nackte Brust strich, meine Gürtelschnalle in Bewegung geriet und ich die Lippen öffnete, auf die sich der Mund eines Mädchens legte, das Cordula hieß oder Irmgard, die sich Irma nennen ließ. Es war ein Spiel mit immer dem gleichen Verlauf, mal waren wir es, die begannen, mal fingen die Mädchen damit an, und es hatte nichts zu bedeuten, wir fanden uns paarweise zusammen, einer hatte eine connection zu einem der Zivis im Jugendzentrum, der das Gras von seinem älteren Bruder hatte, dessen bester Freund einen kannte, der im Sommer in Marokko und so fort. Patchouli trugen die Mädchen unter den Achseln, hinter den Ohren und an jenen Stellen, an die wir nur selten gelangten. Sie tanzten in ihren Satinschühchen und Indienröcken mit uns und vor uns, wir legten für sie auf. Jim Croce If I could save time in a bottle, Aquarius, Neil Young, die Doors, doch AC/DC und Zappa, Squeeze my lemon, nur, wenn wir allein waren und an diesem verregneten Nachmittag keine Mädchen mehr aufkreuzen würden.
    Etwas kitzelte mich am Ohr, und da sah ich die Kellnerin mit schief gelegtem Kopf in meinen Skizzen blättern, was mich sofort wieder aufbrachte. Ich nahm ihr die Zeichnungen weg, verstaute sie in meiner Tasche, trank den Kaffee mit einem Schluck aus und stellt die Tasse klirrend ab, was seine Wirkung verfehlte, auch weil sie stand und ich saß, und zu ihr aufsehen musste wie ein Schuljunge zur Lehrerin, die sein Heft prüft.
    »Und?«, sagte ich in forderndem Ton und starrte ihr ins Gesicht. Sie lächelte, und ein Netz feiner Fältchen spannte sich um ihre Augen, doch als sie meinen Ärger bemerkte, verschwand das Lächeln, und der Patchouliduft hing vergessen zwischen uns im Raum. Ich wischte über mein Ohr, in dem es kitzelte, und sah sie noch einmal an, dann auf einen Bierdeckel. Darauf hatte ich viele kurze Senkrechte nebeneinander geschrieben, von Querstrichen gekreuzt, als hätte ich die Tage gezählt wie ein Häftling den Rest seiner Strafe: fffff fffllll fffflllll ffffllll lllllll fffff.
    »Was soll das sein?«, fragte die Frauensperson und zeigte mit dem Finger auf die Buchstabenbündel. »Was bedeutet das?«
    »Ich weiß nicht.
    »Soll ich dir so viele Kaffees berechnen?«
    »Wenn du mich damit zum Essen einlädst?«
    Das war nicht nur plump. Es war richtig dreist und einfach aus mir herausgerutscht.
    »Ok?« Sie lachte. »Das kann ich aber nicht im Kopf rechnen.«
    »F steht für Kaffee, L für Wasser.«
    »Bezahlen musst du nur für den Kaffee. Moment. Einundzwanzig mal dreiachtzig macht neunundsiebzig achtzig.«
    »Fünfundachtzig«, sagte ich großzügig und reichte ihr die Hunderternote, mit der ich den Rest der Woche hatte bestreiten wollen. Auf dem Weg hinaus nahm ich eine Visitenkarte des Cafés vom Tresen, was sie mit dem Heben eines Mundwinkels quittierte, und ging.
    Die fünfzehn verbliebenen Franken reichten mit dem Kleingeld im Münzfach für ein Mal Milchpulver, zwei Pack Nudeln und eine Schachtel Zigaretten. Klasse, Konrad, sagte ich mir auf dem Heimweg. Super gelaufen, wieder mal.
    Immerhin hatte ich noch aus ihr herausbekommen, dass sie Mary hieß, heute Abend keine Zeit hatte, jedoch nächsten Donnerstag wieder arbeitete und um acht Feierabend

Weitere Kostenlose Bücher