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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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Tischsets. Ein jadegrüner Couchtisch vor einem beigefarbenen Wildledersofa, ein schwarzer Designerstuhl, auch irgendwas aus der klassischen Moderne, und ein roter Sitzsack. Ich nahm Lio auf den Arm und setzte mich, um den Sack zu umgehen, sofort aufs Sofa. Lio schmatzte an einer Ecke meines Hemdkragens, weshalb mir Max zusammen mit dem Weißwein eine Papierserviette reichte, sich in den Sack fallen ließ und nach Regula rief, man wolle anstoßen.
    »Erwartet ihr noch jemanden?« Ich deutete auf das vierte Gedeck auf dem Tisch.
    »Ah, das ist für Lio. Wir dachten, ein Ansporn, möglichst bald essen zu lernen, wie die Großen«, sagte Max, roch an seinem Wein und lachte in sich hinein. »Das war nicht lustig, sorry«, sagte er, als sich unsere Blicke begegneten.
    Wir schwiegen.
    »Wie läuft es? Woran arbeitest du?«, fragte ich, und er sagte, er sei immer noch mit der Freakshow beschäftigt. »Völkerausstellungen«, erklärte er, als ich nichts sagte. Es kam mir vor, als sei es Jahre her, dass wir davon gesprochen hatten.
    Ja, es habe ihn gepackt, und er überlege, die Arbeit auszuweiten zu einer Dissertation. Möglich sei auch ein Sachbuch, oder beides. Er wolle mal sehen.
    »Und du?«, fragte er unbekümmert. Und als ich nichts sagte, griff er nach der Flasche, schenkte Wein nach und klopfte mir wieder auf den Rücken.
    Es klingelte, und ich war froh, keine Antwort geben zu müssen, denn Regula rief, er solle öffnen gehen.
    Sie hieß Josefine und wollte keinen Weißwein, sondern Whisky ohne Eis. Scotch, wenn sie keinen irischen hätten, und diesmal dachte ich nicht B-Movie. Mit dem Glas in der Hand ging sie im Zimmer umher und kommentierte die Bilder an den Wänden, ohne sich an jemand bestimmten zu wenden. Als sie zu einigen der Karikaturen kam, die ich für die Postille gezeichnet hatte, eine Abfolge der sieben Bundesräte, damals noch alles Männer, betrachtete sie sie genau, beurteilte Strichführung, Schraffierungen, Kolorierung und sagte, sie könne die Boshaftigkeit, die eine Karikatur brauche, zwar nachvollziehen, das hier sei jedoch starker Tobak, diese Männer in versifften Unterhosen, mit einer Prostituierten im Arm, als Wickelkind, das noch am Rockzipfel der Mutter hänge, als Totenschädelgesicht und so fort. Sie sprach Hochdeutsch mit irgendeinem Restklang von Dialekt. »Das sind doch Originale und offensichtlich älteren Datums. Wisst ihr, wer das gemacht hat, was aus dem geworden ist?«
    Betretenes Schweigen.
    Ich stand auf und wollte auf den Balkon um zu rauchen, doch Max hielt mich fest und klärte Josefine auf.
    Sie sah verlegen in ihr leeres Glas. Max und Regula strahlten sich an wie Kindergartenkinder, denen ein Streich gelungen ist.
    »Zigarette«, fragte ich dümmlich und hielt ihr das Päckchen hin, doch sie nahm an, und gemeinsam traten wir hinaus in den pfeifenden Wind.
    Es war eine warme Nacht, und sie schien wie ich froh über ein wenig Abkühlung, über das schummrige Licht, vor allem aber, den beiden Verschwörern entkommen zu sein. Der Nachtwind blies in ihr langes braunes Haar, faserige Strähnen flatterten über ihr Gesicht, sie hoben sich und bewegten sich, als hätten sie ein Eigenleben, als bildeten sie ihre Gedanken und Gefühle ab, und jetzt sah ich auch, dass sie von weißen Fäden durchzogen waren. Wir mussten nah zusammen stehen, damit ich ihr Feuer geben konnte, und da hielt sie das Haar zum Schutz vor der Flamme im Nacken zusammen. Ich hatte sie sofort erkannt. Die Goldperlen an den Ohren, die leicht aufspringende Nasenspitze. Sie rauchte mit hochgereckten Fingern und schob den Filter weit zwischen die rot bemalten Lippen. Dieser Anblick und die Tatsache, dass sie mich nicht wiedererkannte, ja, bei unserer Begegnung in der Tram gar nicht wahrgenommen hatte, machte mich verlegen, als ob ich einen Wissensvorsprung über sie hätte, Kenntnis intimer Details, und gleichzeitig erregte es mich. Weil ich nicht von mir sprechen wollte, fragte ich sie, ob sie schon lange in Zürich sei, ob es ihr hier gefalle.
    »Nur zu Besuch«, antwortete sie und erzählte, dass sie Architektin sei und in München lebe, wo sie im Denkmalamt arbeite, befristeter Vertrag, aber gut. Ohnehin sei das Bauhaus ihr besonderes Interesse, und sie hoffe, einmal nach Dessau zu kommen, wo die Meisterhäuser stünden, oder nach Berlin ins Bauhaus-Archiv. Geboren und aufgewachsen war sie in München. Daher der Dialekt. Sie war aus Anlass einer Tagung zu den Werkbundsiedlungen gekommen, und weil sie mit Max

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