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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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nicht weiter. Ich musste Josefine wiedersehen. Ohne mir überlegt zu haben, was ich sagen wollte und wie ich es sagen wollte, rief ich bei ihr an, und als sie abhob, machte der freudige Schreck mich stumm. Wie es gehe, was sie tue, fragte ich, und sie antwortete offen und bereitwillig. Ihre Stimme hatte einen dunklen, matten Klang und hörte sich an, als ob sie geschlafen hätte oder in Gedanken sehr weit weg gewesen wäre. Ich wolle nicht stören, »du störst nicht«, kam es prompt zurück, und je mehr sie auf mich einging, desto mutloser wurde ich. Schließlich fragte ich doch, ob sie wieder nach Zürich kommen würde, und sie antwortete, in nächster Zeit nicht, ein Job, sie habe sich beworben. Berlin. Ich schluckte und beglückwünschte sie. Wir legten auf, ohne uns verabredet zu haben, ohne Aussicht auf ein Wiedersehen. So gings wirklich nicht. Ich fluchte.
    Kurz darauf rief ich Max an, der nicht erreichbar war. Regula fragte mit besorgtem Unterton in der Stimme nach meinem, nach unserem Befinden, ich sagte rasch »alles bestens« und hörte an dem kurzen Schweigen danach, dass sie mir nicht glaubte, schwieg jetzt ebenfalls, bis sie mit munterer Stimme weitersprach, ich könnte Lio, die sei ja so süß, das lang gedehnte ü klingelte in meinem Kopf, einmal zu ihr bringen, jederzeit, wenn ich mal ausgehen wolle oder etwas anderes vorhätte, du weißt schon, dann kann sie auch bei uns schlafen, es gebe doch nichts Besonderes, das sie beachten müsste, »nein, nichts Besonderes«, hörte ich mich sagen, und dass ich ihr danke, ja. Dankbar bin.
    Am späten Abend rief Max zurück, und wir vereinbarten einen Termin für das Briefing des Auftrags, den er mir verschaffen wollte. Sehr junge Leute, ein Start-up, dynamisch, viele Überstunden, aber erfolgversprechend, außerdem, das zu wissen sei vielleicht wichtig für mich, überzeugte Kinderhasser.
    »Alles klar«, sagte ich, »Hauptsache, sie zahlen gut.« Ein Gefühl, als zöge mir einer die Stöpsel aus den Fersen und ich liefe aus.
    Die Sache mit Josefine hing mir in den Knochen, doch statt noch einmal anzurufen, ging ich anderntags ins Café, um Mary zu treffen. Fehlanzeige. Ich zeichnete einen schlaksigen Kerl mit hängenden Haaren, Kippe auf der Unterlippe, Stoppelbart und missmutigem Gesicht, darunter ein Wählscheibentelefon, das klingelnd herumsprang, dann meine Nummer und mein grinsendes Gesicht, aus dessen Augen Sterne sprangen. Was Originelleres fiel mir auf die Schnelle nicht ein. Ich gab den Zettel an der Theke ab, zahlte und holte Lio aus der Therapie ab.

SEQUEL
    Wir altern nicht. Wir bleiben die, die wir von Anfang an waren. Die Hülle, die wir bewohnen, von der jede Zelle unser Wissen enthält, Billionen von Doppelgängern, ist gebrechlich geworden. Zelltod droht. Apoptose. Sie ist alt. Wir nicht. Der knochengefüllte Hautsack wird jeden von uns mit in den Abgrund reißen, dabei ist jeder von uns vielen C, T, G und A und auch U noch derselbe wie vor sechsundneunzig Jahren, die Verbindungen halten noch, der Zellzyklus funktioniert und die Checkpoints machen hervorragende Arbeit. Zwar gehen die Mitosen langsamer und immer mehr von uns wollen in die G 0 -Phase übertreten. Nun ja, die Telomere sind ja doch erheblich kürzer geworden. Dennoch: Wir verschlüsseln, codieren, bilden Aminosäuren wie eh und je, wir transkribieren und transferieren, da wird entspiralisiert, kondensiert, gespreizt und repliziert, was das Zeug hält. Jedes Chromosom, jedes Gen, jedes Allel, jedes Protein erfüllt sein Werk. Und dann begegnen wir dem neuen Material, es kam über uns als Speicheltropfen, Hautschuppen, Haarfäden, es war uns so ähnlich und doch wundersam verändert, ein Vorhaben, das uns nicht gelungen war, weshalb wir unsere Aberrationen, unbemerkt von Medizin und Wissenschaft, schlafen ließen in diesem Hautsack und dem folgenden und dem darauffolgenden auch und keiner hatte was bemerkt. Fast ein Jahrhundert ruhten wir, bis wir zu unserer Bestimmung kamen, und aus uns wuchsen unaufhaltsam und wunderbar Vergesslichkeit, Demenz und Devianz. Die Punktmutationen, die Veränderungen im Splicing waren endlich gelungen. Dunkel machten wir, es wurde Nacht um uns und in der alten Frau, die wir bewohnen, ebenfalls. Hier liegen wir als Basenphosphorzuckerverbindungen und warten auf den Zerfall, das Ankommen in einer Art Bestimmung, den Lauf alles Kreatürlichen, man könnte sagen, Warten auf den Tod. Das kleine frische Menschenkind lässt seine

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