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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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Desoxyribonukleinsäureschnipsel da, wir lachen, denn die Gelegenheit, sich auszutauschen, zu vergleichen, ja einen Reduplikationsversuch zu unternehmen, hatten wir schon abgeschrieben. Nun das.

22
    Wir erreichten das Altenheim Edenblick am frühen Abend, durchquerten kühle, abgedunkelte Räume, die nüchterne Halle, den sterilen Aufenthaltsraum – das ganze Beige und Braun. Ein paar graue Köpfe saßen vor dem Fernseher, in dem ein Familiengericht tagte; die überlegen sich gebende Stimme der Richterin, unterbrochen vom tränenerfüllten Keifen der Streitparteien. Kaum hatten wir den Raum passiert, wurde es still und die Schlussmusik ertönte. Zimmerpflanzen mit seltsam gedrechselten Blättern in Plastikübertöpfen, die ein Spitzengewebe simulierten, standen uns auf Blumensäulen Spalier. Ich eilte mit Lio auf dem Arm durch eine Glastür ins Treppenhaus und drückte den Liftknopf. In der Ecke hockte wie ein vergessenes Möbelstück eine dürre Gestalt im Rollstuhl. Ihr Oberkörper war nach vorn gesunken und hing halb über die Armlehne, der Mund stand offen und die Augen waren geschlossen. Ich hob den Oberkörper der Frau an, die müde und verwirrt die Augen öffnete. Das war sie nicht. Ich schob sie in den Flur zurück und stellte sie vor eins der Bilder, Fotografien von Sonnenuntergängen in Ferienregionen: die Dolomiten, die Südsee, Kap Sounion, Kalifornien, Sylt. Sie protestierte und schüttelte die knochige Faust. Erschrocken ließ ich sie los und eilte weiter, zu meiner Großmutter.
    Eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter mit der Bitte um Rückruf hatte mich alarmiert. Man sagte mir, meine Großmutter habe sich eine Lungenentzündung zugezogen, es gehe wohl zu Ende.
    Das lang gestreckte, dünne Frauenzimmer im bestickten Nachthemd mit fliegenden Zöpfen auf einer Waldlichtung, ein Schmetterlingsnetz in der Hand, mit dem es sich aus den umherfliegenden Sterbemöglichkeiten ein paar Legionellen fischte.
    Ob ich sie noch einmal sehen wolle. Ich machte mich sofort auf den Weg und bat, die Großmutter von meinem Kommen zu unterrichten. Das werde sie nicht mehr mitkriegen, war die trockene Antwort, doch ich bestand darauf. Mit einem unwirschen Ton, der alles besagen konnte, legte die Pflegerin auf. Kolograbsi, wir fahren zur Uroma. Das Kind brabbelte etwas und lächelte. Kurz hinter der Grenze tankte ich und gab der jungen Frau an der Kasse meine Kreditkarte. ›Karte unbekannt‹. Ich versuchte es mit der EC-Karte, die ebenfalls verweigert wurde. Durch die große Scheibe sah ich nach Lio, die im Kindersitz saß und die Hände vor ihrem Gesicht bewegte.
    »Augenblick, ich komme gleich wieder.«
    »Halt, halt, so geht das nicht«, rief die Frau. Ich hinterlegte meine Autoschlüssel und den Pass und suchte einen Bankautomaten. Auf der Straße staute sich der Grenzverkehr. Stop and Go zwischen Plakatwänden, auf denen langbeinige Frauen Netzstrumpfhosen präsentierten, ich lief vorbei an Pizzerien, heruntergekommenen Kneipen, Bürogebäuden, einem McDrive und einem Gartencenter mit schlechten Gipskopien der abendländischen Bildhauerkunst, mit billigen Imitaten dorischer Säulen, staubigen Bananenstauden in Plastikimitaten halbierter Holzfässer, Thujapflanzen, Vogelbädern, Gartenzwergen. Hunderte von Gartenzwergen mit schräg gelegtem Kopf, swimmingpoolblauen Augen und dem immer gleichen Grinsen im Gesicht. Ich ging und ging und sah nicht zurück. Schließlich erreichte ich eine Raiffeisenbank, die ebenfalls keine meiner Karten wollte. Fast erleichtert ging ich weiter und immer weiter. Nacheinander versuchte ich es an vier Automaten, von denen der letzte mir einen glatt gepressten Hundertmarkschein entgegenstreckte. Ich versuchte es noch einmal, und es kamen noch dreihundert Mark raus. Ich nahm die raschelnden Scheine und machte abrupt kehrt, rannte im Laufschritt zurück, um der Versuchung zu entgehen, einfach weiterzugehen, weiter und weiter.
    Ohne ein Anzeichen von Unruhe oder Furcht saß Lio im Auto. Sah sie mich? Kannte sie mich? Ich bezahlte meine Rechnung, nahm noch eine Stange Zigaretten und eine Packung Butterkekse mit. Hastig und ohne zu blinken, fuhr ich aus der Tankstelle. Der Fahrer, dem ich den Weg abschnitt, hupte und verwarf die Arme. Jaja. Ich öffnete das Fenster und zündete mir eine Zigarette an. » Sorry«, brummte ich, weil ich dem Kind, das freundlich brabbelte, den Kopf vollrauchte.
    Großaufnahmen von Sommerblumen. Mohn, Kornblume, Margerite, Sonnenblume, Edelweiß. Auf dem hellgrauen

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