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Atmen – ein lebendiges Geschehen (Gralsverlag Ratgeber)

Atmen – ein lebendiges Geschehen (Gralsverlag Ratgeber)

Titel: Atmen – ein lebendiges Geschehen (Gralsverlag Ratgeber) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Barknowitz
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Praxis
    Einige Beispiele über den Entwicklungsverlauf bei verschiedenen Schülern und Patienten mögen für den Leser den Einblick in die atemtherapeutische Arbeit vertiefen.
    1.
    Frau K. nimmt nur wenige Einzelstunden bei mir, da sie aus unserer Stadt wegzieht. Sie ist Mitte Zwanzig und kommt in meine Praxis, weil sich ihre Neurodermitis gerade sehr akut zeigt. Von Kindheit an hat sie immer wieder mit Allergien und Asthma zu tun. Da sie bereits Vorerfahrungen durch die Teilnahme an einer meiner Gruppen hat, können wir gleich zu Beginn sehr direkt in die Arbeit einsteigen. In der ersten Stunde erleben wir beide, wie tief sie in sich zurückgezogen ist; die gesamte Körperoberfläche wirkt sehr unbelebt, und im Gespräch können wir Verbindungen ziehen zu den Reaktionen ihrer Haut (Neurodermitis).
    In der folgenden Einzelsitzung bringt sie Bilder mit, die sie vor einigen Monaten gemalt hat, also noch vor Beginn der Atemtherapie.
    Sie sprechen Bände über ihr seelisches Befinden: Sie malt sich selbst, innen brodelnd, während sie gleichzeitig von einer dicken, undurchdringlichen Hülle umschlossen ist. Ein Bild deutet gar darauf hin, daß ihre Brust von einem Schwert durchstoßen ist. Ich muß sehr vorsichtig mit ihr arbeiten, denn sie kann kaum Druck vertragen.
    Der Atem ist in den ersten Stunden noch sehr geführt, sie versucht, sich hinter diesem äußeren, vorgeschobenen Eindruck des Atems, der nicht ihr eigentlicher echter ist, zu verstecken. Manchmal gibt es kurze Momente, in denen sich bei der Arbeit an der Mitte – unmittelbar unter dem Brustbein in Höhe des Sonnengeflechtes – ein kleines, persönliches Sicheinlassen zeigt, das sie jedoch rasch wieder zudeckt.
    In einer Stunde erklärt sie mir, daß es ihr vorkomme, als ob jeder Atemzug von ihr eine neue Entscheidung erfordere und den Mut, sich einzulassen. Einige Tage später schickt sie mir folgendes Gedicht:
    „Mut“
Das Unberührte
Zu berühren
Das Untastbare
Atmen
In den Wunden
Die Stärke finden
Dem Himmel
Innere Weite geben.
    Schritt für Schritt beginnt sie, sich dem Atem und ihrer Lebendigkeit anzuvertrauen. Die Haut bessert sich bereits in dieser kurzen Zeit erstaunlich.
    2.
    Herr 0. ist Mitte Siebzig und aufgrund von Krebs-Metastasen in der Lunge kurz vor Beginn unserer Therapie operiert worden. Nur noch 40 % des ursprünglichen Lungengewebes ist funktionsfähig, ein Lungenflügel ist ganz entfernt worden. Als er zum ersten Mal kommt, ringt er ununterbrochen nach Luft – verständlicherweise.
    Er erzählt ein wenig von sich. Da er früher ein unternehmungslustiger Mann war, hat er große Schwierigkeiten, seine jetzige Situation anzunehmen. Neben intensiver Atemarbeit besteht ein Teil der Therapie auch vor allen Dingen im Zuhören meinerseits und in begleitenden Gesprächen.
    Durch die starke Reduzierung der Lunge hat sich bei Herrn 0. eine paradoxe Zwerchfellatmung eingestellt. Er zieht den Einatem mit letzter Kraft ein, weil er immer das Gefühl hat, nicht genug zu bekommen. Dabei zieht sich das Zwerchfell hoch in den Brustraum, und dieser wird immer enger. Auch für den Ausatem muß er enorme Kraft aufwenden. Mit viel Druck stößt er das Zwerchfell dabei nach unten, so daß der Bauch hinausgedrückt wird statt umgekehrt.
    Glücklicherweise war es für ihn noch möglich, innerhalb weniger Stunden die richtige Atembewegung, die wir zunächst ganz mechanisch geübt haben, zu begreifen und umzusetzen.
    Erst das freie Hinausgeben des Ausatems hat ihm wieder Platz verschafft in der Lunge und ihm wenigstens ein kleines Gefühl von Weite im Einatem geben können. Er war sehr dankbar für diese Hilfe, denn sie hat ihm wenigstens etwas Erleichterung verschafft in seinen letzten Lebensmonaten.
    3.
    Frau D. kam erst vor einigen Wochen zu mir und ist gegenwärtig noch in Behandlung. Ihre Gesichtsfarbe sieht grau und fahl aus, die Augen treten aus den Höhlen hervor, sie wirkt leidend. Von Kindheit an wird sie von starker Migräne geplagt. Sie ist knapp fünfzig Jahre alt. In den letzten Monaten steckte sie in einem Teufelskreis zwischen Migräneanfall und der Einnahme von sehr starken Medikamenten. Offensichtlich ist ihre Leidensgrenze erreicht. Sie sagt, sie sei körperlich und seelisch völlig am Ende. Es mag für manchen hart klingen, aber durch diesen Zustand scheint der Boden bereitet zu sein für eine wirkliche Veränderung des Zustandes dieser leidgeprüften Frau. In unserem ersten Gespräch lege ich ihr nahe, medizinische Ursachen abklären

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