Attila - Die Welt in Flammen
«Adrianopel?»
Der Kaiser presste die Lippen zusammen.
«Außerdem», setzte Aëtius hinzu, «hatten sie bisher noch nie einen Anführer wie Attila.»
Der erste Hofbeamte kehrte zurück. Bewegte sich mit dem Rücken voran durch das Gemach, bis er sich auf Anrede des Kaisers hin umdrehen durfte, fiel vor ihm auf die Knie und streckte ihm etwas auf der Hand entgegen. Theodosius nahm es in Empfang, betrachtete es eingehend und murmelte verwirrt: «Pytheas.» Dann reichte er es an Aëtius weiter.
Es war ein kleiner Goldbarren, gestempelt mit dem Signum Viminaciums. Gold, das die Hunnen geplündert hatten.
«Attila zahlt gut», bemerkte Aëtius trocken. «Judas musste sich noch mit Silber begnügen.»
«Pytheas», wiederholte Theodosius leise und schüttelte fassungslos den Kopf.
«Er wird nicht der Einzige sein. Ihr werdet Euren Augiasstall tüchtig ausmisten müssen.»
Der Kaiser schien zutiefst erschüttert. Aëtius empfand spontan Mitgefühl mit diesem hochmütigen, aber sanften Gelehrten auf dem Kaiserthron, der sich, ob er wollte oder nicht, der Erkenntnis menschlicher Bosheit und Niedertracht stellen und einsehen musste, dass selbst jene, denen er am meisten vertraute, bereit waren, ihn für Gold zu verraten.
Theodosius wandte sich zum Gehen.
«Majestät.»
Er blieb stehen.
«Noch ist nicht alles verloren.»
Nach kurzem Schweigen nickte Theodosius, ohne sich zu dem General umzuwenden. «Ergreift alle Maßnahmen, die Ihr für notwendig erachtet.» Dann raffte er seine Gewänder und verließ eilig das Gemach.
Aëtius ordnete an, den Verräter Pytheas unverzüglich hinzurichten. Sein Kopf, seine Hände und alles Gold aus Viminacium, das man in seinen Gemächern gefunden hatte, sollten in einen Sack eingenäht und an Attila geschickt werden; ohne weitere Botschaft. Im letzten Moment besann er sich und rief den Beamten noch einmal zurück.
«Ich hab’s mir überlegt, wir behalten das Gold», sagte er. «Warum Attila unnötig Reichtümer in den Rachen werfen, damit er noch mehr Söldner anheuern kann? Lass stattdessen mit dem Kopf und den Händen des Verräters Eisenstücke mit in den Sack einnähen. Und auf eine Tonscherbe schreibe folgende Worte:
Yaldizh djostyara, Ütümelek has¸imyara.
»
Der Schreiber, dem Aëtius dies diktierte, war ich, Priscus. Ich verzog angewidert das Gesicht über diese mir fremde, unschöne Sprache. «Was für eine hässliche Sprache, Herr.»
«Ansichtssache. In vieler Hinsicht ist sie hochkomplex, vollkommen andersartig als die Sprachen der zivilisierten Welt. Ihre zusammengesetzten Wörter zum Beispiel. Wusstest du, dass sie ein Wort haben für ‹das Geräusch eines Bären, wenn er durch Preiselbeersträucher streift›?»
«Ist doch lächerlich.»
«Ich dachte, du bewunderst die Schriften Herodots? Seine unvoreingenommene Neugier auf andere Völker und Kulturen scheinst du aber nicht zu teilen.»
«Hm.» Ich spitzte meine Feder. «Also. Diese barbarischen Worte,
Yaldizh djostyara
und so weiter – dürfte ich fragen, was sie zu bedeuten haben?»
«Eine alte hunnische Redensart, die ich als Knabe gelernt habe – vom ungekrönten König der Welt persönlich.» Er lächelte grimmig. «Übersetzt lautet sie: ‹Gold für meine Freunde, Eisen für meine Feinde›.» Er stand auf und ging ans Fenster, wo er die Hände auf dem Rücken verschränkte. «Damit Attila genau weiß, wen er zum Feind hat.»
«Wie sollen wir Attila finden?»
«Indem wir der Spur der Zerstörung folgen, die er durchs Land gezogen hat», erwiderte Aëtius mit demselben beunruhigenden Lächeln.
«Und wer soll den Sack überbringen?»
«Seine eigenen Leute. Die wir wie Termiten aus dem Palast ausräuchern werden. Nun werde ich dir erklären, wie das genau zu bewerkstelligen ist. Das hunnische Wort für Feuer lautet
yankhin
.»
* * *
Mitten in der Nacht liefen auf einmal Sklaven durch den stillen Palast und schrien immer wieder mit gellender Stimme dieses Wort. Worauf sich natürlich in kürzester Zeit der gesamte Hofstaat – einmal abgesehen von jenen vielleicht, die gerade mit den Frauen anderer Männer das Bett teilten – verwirrt und schlaftrunken blinzelnd in den Innenhöfen des ausgedehnten Palastkomplexes versammelte. Hie und da jedoch hasteten Einzelne mit Eimern bewaffnet zu den nächsten Spring- oder Ziehbrunnen, wollten teils sogar zu den Thermen des Zeuxippos laufen. Diese Personen wurden umgehend ergriffen und dem erst kürzlich eingetroffenen General aus dem Westen
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