Attila - Die Welt in Flammen
gehen. «Ich wusste es!», stieß er seltsam aufgeregt hervor. «Der Kampf hat bereits begonnen! Der Kampf um Deutungshoheit.» Er schnellte zum Kaiser herum. «Wer hat Euch das zur Kenntnis gebracht?», fuhr er ihn an, als hätte er einen untergeordneten Offizier vor sich.
Um Theodosius’ eisige Beherrschung war es längst geschehen. «Mein … mein Kammerherr. Ein gewisser Py–»
«Lasst seine Gemächer durchsuchen.»
Nach kurzem Zögern wandte sich Theodosius an einen Hofbeamten und instruierte ihn entsprechend.
Aëtius ging weiter frech auf und ab; es war über die Maßen befremdlich. Dann forderte er einen anderen Beamten barsch auf, ihm eine Landkarte zu bringen. Der Beamte huschte eilends davon.
«Naissus, hast du gesagt?», fragte der Kaiser verwirrt. «Aber Attila wird von der Feldarmee vernichtet, ehe er nach Naissus ziehen kann.»
«Nun», sagte Aëtius mit schräg gelegtem Kopf, «nur mal angenommen, das gelingt nicht. Angenommen, die Feldarmee scheitert. Was der Himmel selbstverständlich verhüten möge, Eure Majestät, aber wir müssen uns auch auf das Schlimmste einstellen.»
«Gott ist mit uns.»
«Daran zweifle ich nicht. Aber wie mein Vater Gaudentius immer zu sagen pflegte: ‹Habe Gottvertrauen und lege niemals dein Schwert aus der Hand.›»
Theodosius bekreuzigte sich. «Seit wir vom Untergang Viminaciums erfahren haben, wenden sich die Bischöfe und die Menschen in unablässigen Bittgebeten an die Heilige Mutter Gottes.»
«Gut, gut», brummte der ungehobelte General, der weiter mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf und ab ging und offenbar gar nicht zuhörte. Der Hofbeamte kehrte zurück und breitete ängstlich zitternd die Karte auf dem Tisch mit den Marmorintarsien aus. Nach einem kurzen Blick auf die Karte herrschte Aëtius ihn an: «Doch keine Karte der Stadt, du Esel, eine Karte des Reiches – von hier bis zur Donau! Aber flink!»
Wieder huschte der Beamte eilends hinaus.
«Er ist kein Soldat, der deinem Befehl untersteht», wandte der Kaiser aufgebracht ein.
«Allerdings nicht, dazu ist er verdammt nochmal zu unfähig.»
Theodosius fuhr in die Höhe, seine Augen blitzten. Mit seiner hochgewachsenen, wenn auch schlaksigen Gestalt gab er gleich eine viel eindrucksvollere Erscheinung ab.
«Heermeister Aëtius, du vergisst dich», sagte er kalt. «In der Kaserne kannst du gerne den raubeinigen General herauskehren, aber jetzt stehst du vor einem Kaiser. Vergiss das gefälligst nicht, wenn du wirklich helfen willst.»
Aëtius schwieg betroffen. Valentinian war gefährlich, daher begegnete er ihm mit Umsicht und Ehrerbietung. Aber auch Theodosius verdiente Respekt. Er war längst nicht so weltfremd, wie manche behaupteten, und hatte das Herz am rechten Fleck. Sie mussten zusammenarbeiten.
«Majestät.» Er verbeugte sich.
Der zitternde Beamte kehrte zurück und breitete eine wesentlich größere Karte auf dem Tisch aus.
Theodosius deutete auf Naissus. «Und was käme danach?»
Aëtius fuhr mit dem Finger auf der Karte nach Süden, auf der römischen Fernstraße, die nach Konstantinopel führte. «Er wird es auch auf die kaiserlichen Gestüte in Thrakien abgesehen haben. Ihr solltet Männer losschicken, um die Gestüte räumen und die Pferde nach Süden treiben zu lassen, notfalls durch ganz Kleinasien. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie Attila in die Hände fallen.»
Theodosius sah befremdet drein. «Eine Horde von Räubern zu Pferde soll gegen die Mauern anreiten, die mein Großvater Theodosius der Große errichtet hat? Lachhaft. Unsere Mauern sind unüberwindlich, das weiß alle Welt.»
«Attilas Ehrgeiz kennt keine Grenzen. Und sie verfügen inzwischen über Belagerungstechnik. Erlaubt mir, sie an ihrer Flanke anzugreifen, hier.» Er tippte mit dem Finger auf die Karte. «Wir könnten durchs Gebirge reiten. Wenn wir sie dort abfangen, könnten wir ihnen großen Schaden zufügen. Habt Ihr noch Eure isaurischen Hilfstruppen?»
Der Kaiser nickte. «In Trajanopolis.»
Die Isaurier, ein Volksstamm besserer Wegelagerer aus Anatolien, waren hervorragende Gebirgskrieger.
«Die Hunnen sind Steppennomaden», sagte Aëtius. «Berge sind nicht ihr Terrain. Dort wird ihre Schnelligkeit ihnen nichts nutzen.»
«Damit deutest du immer noch an, dass die Feldarmee … von dieser Horde gesetzloser, rückständiger Plünderer besiegt wird. Lächerlich! So etwas hat es noch nie gegeben.»
Aëtius äußerte ein einziges Wort, das schmerzliche Erinnerungen weckte:
Weitere Kostenlose Bücher