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Attila - Die Welt in Flammen

Attila - Die Welt in Flammen

Titel: Attila - Die Welt in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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Mutter überlebte. Das ist das richtige Wort. Sie blieb am Leben. Sie trank. Sie verkaufte ihren Körper. Wenn sie schwanger wurde, trieb sie selbst ab. Später misslang ihr das einmal, und sie brachte einen Sohn zur Welt. Wie durch ein Wunder war es ein gesundes Kind, das zu einem gesunden Erwachsenen heranwuchs. Später bekam sie noch eine Tochter, Pelagia, die immer schwächlich und mager war. Ihr Bruder liebte sie über alles.»
    Wieder hielt er inne. Ich wartete. Er schluckte schwer und fuhr dann fort.
    «Sie trank nicht mehr, verkaufte auch nicht mehr ihren Körper. Versuchte, ihre beiden Kinder großzuziehen. Aber sie war innerlich so zerbrochen, dass nicht einmal ihre Kinder sie zu heilen vermochten. Natürlich nicht. Für das, was sie durchgemacht hat, gibt es keine Heilung. Die Mutter starb, als ihre Kinder noch sehr klein waren. Den beiden Kindern, damals nicht älter als etwa sechs und vier Jahre – sie wussten zwar ihre Geburtstage, aber nicht das genaue Jahr ihrer Geburt –, blieb keine Wahl. Der Junge nahm seine Schwester an der Hand, verließ mit ihr die Holzhütte, in der ihre tote Mutter lag, ging mit ihr zum Hafen hinunter und verkaufte sich und die Schwester in die Sklaverei. Sie wurden nach Italien gebracht. Ihre Besitzer behandelten sie sehr schlecht. Sie liefen davon. Auf einer Straße, die nach Norden führte, aus Italien hinaus, lernten sie einen jungen Hunnen kennen, einen Knaben, der ebenfalls auf der Flucht war. Kurze Zeit später ist Pelagia dann gestorben, und sie begruben sie in den Bergen.»
    Wieder verstummte er. Ich wagte einen verstohlenen Blick und sah, dass ihm Tränen übers Gesicht rannen. Er hatte sich jedoch so gut im Griff, dass seine Stimme ganz ruhig klang, als er fortfuhr.
    «Der Sklavenjunge und der Hunne jedenfalls blieben zusammen und standen gemeinsam viele Abenteuer durch. Alles Weitere … Alles Weitere ist dir bekannt.»
    «Großer Gott.»
    «Was Theodosius den Großen betrifft, weigerte Erzbischof Ambrosius sich vor Abscheu über das Massaker, dem Kaiser das Abendmahl zu reichen, untersagte ihm sogar den Zutritt zu seiner Kathedrale. Eine mutige Tat. Am Ende fiel Theodosius auf die Knie und flehte um Vergebung. Die christliche Kirche hatte den Kaiser bezwungen.
    Aber du verstehst jetzt wohl, warum ich Rom eher … zwiespältige Gefühle entgegenbringe.»
    Ja. Das verstand ich vollauf.

10. DIE VIPER
    M eine letzte Unterredung im Lager der Hunnen führte ich mit keinem Geringeren als Attila selbst, der mich persönlich zu sich einbestellte. Worüber ich zunächst sehr erschrak. Ihm war zu Ohren gekommen, dass ich als offizieller Chronist der byzantinischen Gesandtschaft fungierte, was er mir gegenüber in die trockene Feststellung kleidete: «Die Geschichte liegt also in deiner Hand.» Und es war ihm offenbar ein Bedürfnis, mir selbst Auskunft zu geben. Er hatte mir vieles mitzuteilen. Nach dem Frühstück begann meine Arbeit, und bei Sonnenuntergang schrieb ich, inzwischen viel weniger ängstlich als noch am Morgen, noch immer fleißig mit, während er weiterredete. Vieles, was ich in dieser Chronik niedergelegt habe, stammt direkt aus seinem Mund: seine Kindheit, seine Kämpfe, wie er die skythischen Stämme zusammengeführt hatte. Es war eine große und schreckliche Geschichte, die er zu erzählen hatte, und die Stunden vergingen darüber wie im Flug. Er hielt sich mit Wertungen sehr zurück und richtete selbst keine Fragen an mich; doch stand er mir bereitwillig Rede und Antwort. So fragte ich ihn beispielsweise nach seinem Geburtsdatum, das er mir auch freimütig anvertraute, da es ja nun mal meine Aufgabe war, die Wahrheit für die Nachwelt schriftlich festzuhalten. Am Ende unserer Unterredung erteilte er mir ausdrücklich Erlaubnis, mich mit jedem im Lager zu unterhalten, er vertraue seinen Leuten, sagte er. Dann gab er mir eine kleine Goldmünze und entließ mich. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, nach meinem Namen zu fragen. In die Münze mit dem gepunzten Rand war ein primitiver Adler eingeprägt. Es handelte sich um einen echten und sehr seltenen hunnischen Solidus.
    * * *
    Am Abend wurde uns zum Essen Kumyss gereicht, das sehr starke hunnische Getränk aus vergorener Stutenmilch. Während die trinkfesten Wolfskrieger auch nach dem achten oder neunten Kelch noch keinerlei Wirkung zeigten, merkte ich schon nach dem zweiten Kelch, wie sich ein närrisches Grinsen auf meinem Gesicht breitmachte, und beim Gedanken an meine flachshaarige

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