Attila - Die Welt in Flammen
hielt inne und lächelte bitter, «ich meine der Mann, der acht Jahre vor meiner Geburt gestorben ist, der eigentlich mein Vater hätte sein sollen.»
Die Gerstenkörner hüpften in der Hitze umher.
«Ich fange noch einmal von vorne an.» Er atmete tief durch. «Zwölf Jahre vor meiner Geburt wurde meine Mutter mit einem Mann aus Thessalonika verheiratet. Er war Reeder, ein wohlhabender Mann, und kultiviert obendrein. Er besaß eine Bibliothek. Er war Christ, aber kein Fanatiker. Ihre Villa auf einem Hügel mit Blick auf den großen Hafen war mit Mosaiken und Fresken geschmückt, auf denen Silen zu sehen war, Nymphen und Tritonen, sie hatten Silbergeschirr mit Darstellungen von Mars und Venus, das sie auf einem Bord neben einem Andachtsbild der Jungfrau Maria aufbewahrten. All das hat meine Mutter mir in späteren Jahren genau beschrieben. Meine Mutter war eine lebhafte, geistreiche Frau und in jungen Jahren sehr schön. Das Haus, das sie mit ihrem Mann in Thessalonika bewohnte, war sehr geschmackvoll. Sie hatten zwei Söhne und dann noch eine Tochter. Sie waren eine glückliche Familie. Meine Familie. Und doch wieder nicht.»
Er kaute einige Gerstenkörner.
«Im Sommer 390, acht Jahre vor meiner Geburt, war Thessalonika die führende Stadt Illyriens. Die Bewohner, wir Griechen, waren ein redseliges, streitlustiges Völkchen, temperamentvoll, lebendig und immer umtriebig. Und die Stadt wurde durch starke Mauern und eine Garnison geschützt. Der Befehlshaber der Garnison war ein gewisser Butherich, Germane von Geburt. Unter seinen Sklaven befand sich ein Knabe, ein hübscher Knabe – du verstehst schon. Ein Wagenlenker aus dem Circus hatte ein Auge auf diesen Knaben geworfen. Er lockte ihn zu sich nach Hause und vergewaltigte ihn. Butherich ließ den Wagenlenker ins Gefängnis werfen.
Das gemeine Volk von Thessalonika – nicht anders als das gemeine Volk in allen Städten, dem der Sport über alles geht und das bereit ist, seinen Sportidolen jede noch so grobe Untat und Verfehlung durchgehen zu lassen, solange sie nur gute Leistungen bringen und ihren Anhängern Freude bereiten – das gemeine Volk also war außer sich darüber, auf diesen gefeierten Wagenlenker, den Knabenschänder, verzichten zu müssen. Es kam zu einem offenen Aufruhr. Butherich und einer seiner höchsten Offiziere wurden bespuckt, durch die Straßen geschleift, ermordet. Du weißt, zu was eine Meute imstande ist, wenn sie sich in eine vermeintlich rechtschaffene Empörung hineinsteigert – und das alles eines Knabenschänders wegen. Kaiser Theodosius der Erste, genannt der Große, der Großvater der beiden heutigen Kaiser, der in Mailand residierte, war über die Kunde von dem Aufruhr so erzürnt, dass er sogleich ein Strafmassaker anordnete. Über den Drang der Römer, Strafmassaker an wehrlosen Zivilisten zu verüben, wissen wir ja Bescheid, nicht wahr? Eine alte Gewohnheit.»
Ich schwieg.
«Der Befehl des Kaisers wurde umgehend übermittelt. Erst danach gelang es den christlichen Bischöfen, Theodosius zur Rücknahme seines blutigen Urteilsspruchs zu bewegen, der der Lehre Christi so sehr zuwiderlief. Er sandte eine zweite Botschaft hinterher, um den Befehl zu widerrufen, aber es war schon zu spät. Die Garnison in Thessalonika, ohnehin zutiefst erbittert über den Mord an Butherich, übte umgehend blutige Vergeltung. Im Namen ihres Kaisers wurden die vergnügungshungrigen Leute der Stadt zu weiteren Spielen eingeladen – ein kleiner Scherz. Kaum hatte sich der Circus gefüllt, wurden alle Tore verrammelt und die Menge restlos niedergemacht, ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht. Das Blutbad dauerte drei Stunden. Siebentausend Menschen, so heißt es, wurden an jenem Tag niedergemetzelt, angeblich waren es sogar über fünfzehntausend, die ‹den
Manen
Butherichs geopfert› wurden. Nach dem Massaker im Circus strömten die Soldaten hinaus auf die Straßen der Stadt, um dort weiterzumorden.
Unter ihren Opfern war auch ein Vater, der sie verzweifelt anflehte, im Austausch für sein Leben wenigstens seine Frau, seine beiden kleinen Söhne und sein Töchterchen zu verschonen. Du hast es schon erraten. Meine Familie. Die Soldaten ließen sich nicht erweichen. Sie brachten alle um, den Vater, die Söhne, das Töchterchen, das noch in den Windeln lag, und die weinende Mutter. Aber nicht ganz. Die Mutter überlebte, schwerverletzt, unter den blutigen Leichen ihrer Familie.»
Er schwieg kurz, sichtlich um Fassung ringend.
«Meine
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