Attila - Die Welt in Flammen
Hinterhalt.
Gegen Abend, als es allmählich zu dunkel wurde, um weiterzureiten, hielten wir Ausschau nach einer Lichtung, auf der wir über Nacht lagern konnten. Da behauptete Thorismund auf einmal, er hätte einen Leoparden gesehen, hoch oben in den Bäumen.
«In diesen Bergen gibt es keine Leoparden», beruhigte ihn Aëtius.
«Alexander der Große hat in den Bergen Griechenlands Löwen gejagt», beharrte der Jüngling starrsinnig.
«Das ist viele hundert Jahre her, Bruder», sagte Theoderich.
«Beruhige dich», sagte Aëtius. «Dir werden noch genug Gefahren begegnen, auch ohne Leoparden.»
Als wir an jenem Abend um das Feuer herumsaßen, kehrte ein Wolfskrieger mit einem merkwürdigen Geschöpf in unsere Mitte zurück, das er am Rand des Lagers aufgegriffen hatte. Was er da mit seinem Speer vor sich hertrieb, war jedoch kein Leopard, sondern ein Vogelfänger, der einen wahrhaft kuriosen Anblick bot.
Er hatte nur noch einen einzigen schwärzlichen Zahnstummel im Mund und glänzende, wachsam umherhuschende Augen, denen nichts entging. Seine nackten Füße waren mit Federn beklebt, als würde er sich selbst langsam in einen Vogel verwandeln, und er trug einen Strohhut, der mit vertrockneten Sommerblumen geschmückt war.
«Und wer bist du?», knurrte Aëtius.
Der Vogelfänger antwortete prompt, mit einem wahren Redeschwall. Er sprach sehr schnell, wie jemand, der seit Monaten oder Jahren mit keiner anderen Menschenseele mehr gesprochen hatte.
«Ich war einst ein Missionar Christi, einer der Missionare, die der heilige Johannes Chrysostomos in die Steppen des Ostens entsandt hat, um dort die Heiden mit ihrer Tracht aus Federn und Fellen zu bekehren und ihnen die Frohe Botschaft zu predigen.» Er grinste und zeigte dabei seinen Zahnstummel, der im Feuerschein feucht von Speichel schimmerte. «Meine Freunde aber würden sagen, ich meine, wenn ich welche hätte, die würden sagen, dass ich da draußen durch die Gleichgültigkeit der weglosen, unchristlichen Wildnis in den Wahnsinn getrieben worden bin. Ihr wisst ja, dass dort draußen kein Gesetz der himmlischen Liebe herrscht.»
«Welchen Stämmen hast du gepredigt?»
«Ostrogoten, Monogloten, Monopeden, Hunnen, Hasmonäern, Amazonen mit nur einem Tittchen –»
Aëtius drehte sich auf die Seite, um zu schlafen. «Der Kerl ist verrückt.»
«Und heute lege ich Leimruten für meine gefiederten Brüder aus, um mich von ihrem Fleisch zu nähren und Federn für meine Füße zu bekommen», fuhr der Vogelfänger fort. Die Prinzen und ihre Wolfskrieger schienen halb fasziniert, halb belustigt von dem sonderbaren Kauz, der da im Feuerschein stand und redete.
«Und wisst ihr, von all den Vögeln, die ich behutsam von den weißen Leimruten dort an dem Baum pflücke und dann mit umgedrehtem Hals, für immer verstummt, in meinen geräumigen Korb fallen lasse, nehme ich zuweilen einen, der mir aus irgendeinem Grund gefällt, und lasse ihn fliegen, mit weiter intakter Stimme, ohne ihm den Hals herumzudrehen. Das ist so eine Laune von mir. So möge es auch euch ergehen, ihr edlen Krieger, in den Händen des Großen Fängers, wenn ihr in die unchristliche Wildnis hinausreitet, gegen jene entsetzlichen Feinde, deren Herzen euch in Stein verwandeln würden, wenn ihr sie nur sehen könntet. Denn mag auch der freigelassene Vogel früher oder später trotzdem in einem Korb landen, verzaget gleichwohl nicht, denn nicht alle werden sofort getötet, nicht alle verlieren sich in der ewigen Nacht meines geräumigen Weidenkorbs. Manche kommen frei, dürfen weiter umherfliegen und singen. Möget ihr, meine Brüderchen, euch ein Beispiel daran nehmen, denn die Wahrheit besteht in nichts anderem als in all den kleinen guten Taten, die je ein Mensch einem Mitmenschen oder einem gefangenen Vogel erwiesen hat.»
«Du musst ein seltsamer Missionar gewesen sein», murmelte Theoderich. «Ein Schattenmissionar, der den Gefallenen Christus predigte.»
Der Vogelfänger streifte ihn mit einem kurzen Blick und redete dann weiter. «Unsere Geschichten kommen nicht auf dieser Welt zum Abschluss. Es bleibt etwas weit jenseits davon, das niemals gekannt oder von den stammelnden Zungen der Menschen benannt werden kann. Wer glaubt, es am Schwanz erhascht zu haben und seinen Namen zu besitzen, ertrinkt in Unwissenheit. Dennoch besteht es weiter. Und auch wenn in den letzten Tagen, die schon bald heraufdämmern könnten, die Schriftrolle der Welt zusammengerollt und ins Feuer geworfen wird, und das
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