Attila - Die Welt in Flammen
Wolfskrieger aber blieben auf der Hut. Während sie mit locker unter den rechten Arm geklemmten Speeren in einer Kolonne dahinritten, spähten sie wachsam in alle Richtungen. In diesen seit uralter Zeit von Mysterien umwitterten Bergen Thrakiens hatte sich schon manch Unheimliches zugetragen, Orpheus war hier einst von kreischenden Mänaden in Stücke gerissen worden. Als wir schon ziemlich tief in die schmale Klamm vorgedrungen waren, in der sich die Pferde vorsichtig einen Weg zwischen Felsen und Geröll hindurch bahnen mussten und mit ihren Hufen immer wieder auf den schiefergrauen Steinen ausglitten, öffneten sich die Schleusen des bleigrau lastenden Himmels. Durch die Nässe wurde der Untergrund noch tückischer. Große Regentropfen platschten auf glänzende Spangenhelme, liefen in silbrigen Tröpfchen an Nasenspangen und Visieren hinab und über stoppelbärtige Wangen, sickerten in Halstücher, perlten auf scharlachroten Wollumhängen, rannen über metallgepanzerte Schultern. Trotz des kalten Regens schwitzten die Reiter. Nirgends in der Klamm regte sich Leben.
Dann verbreiterte sich der Pass allmählich. Als wir um eine Wegbiegung herumritten, fächelte uns ein leichter Wind ins Gesicht, und kurz darauf erblickten wir vor uns einen See inmitten karger, felsiger Berge, die graue Oberfläche wie getüpfelt vom strömenden Regen. Die Felswände zu unserer Linken gingen in mächtige hinabgestürzte Felsbrocken über, während sie zu unserer Rechten am Seeufer entlang verliefen. Lediglich ein schmaler Streifen Kies trennte den Fuß der Felswand vom Wasser. Auf der anderen Seite des Sees befanden sich grüne Hügel, die schon bald in weit höhere, schroffe Berge übergingen.
Aëtius machte auf seinem Pferd Halt und ließ den Blick umherschweifen.
«Ein erhabener Anblick», stellte Prinz Theoderich fest.
Aëtius lächelte nachsichtig. «Aber ich nehme den Geruch von Pferden wahr.»
Der Prinz sah ihn stirnrunzelnd an.
«Den Geruch von vielen Pferden, und damit meine ich nicht unsere. Von der anderen Seite des Sees her. Sieh doch, wie deine Stute die Nüstern bläht.»
«Ich dachte, das wäre wegen des Wassers. Sie haben lange nicht trinken können.»
«Nun, lass sie jetzt noch nicht trinken. Später ist noch reichlich Zeit dazu. Haltet eure Lanzen bereit.»
Er schickte Jormunreik und Valamir als Kundschafter los, den Hang zu ihrer Linken hinauf. Wenige Minuten später kamen sie ganz außer Atem wieder nach unten und erstatteten Aëtius Bericht.
Ja, viele Pferde. Und viele Männer.
«Wie viele?»
«Ein paar hundert», sagte Valamir, während er sich das lange Haar zu einem Pferdeschwanz band. Dann setzte er sich seinen Spangenhelm auf, bereit zum Gefecht.
Aëtius rieb sich über das stoppelige Kinn. Dass Attila selbst hier war, bezweifelte er. Einer seiner Generäle würde die Truppe vermutlich anführen. «Das ist kein gezielter Hinterhalt. Ein Erkundungstrupp vielleicht, mehr nicht. Ein Zufall des Schicksals.»
«Ein Ungemach, dem wir uns mit äußerster Tapferkeit stellen werden.» Theoderich richtete sich im Sattel auf.
Der Junge redete immer geschwollener daher. Aëtius lag eine spöttische Erwiderung auf der Zunge, die er sich aber dann verkniff. Er war selbst einmal jung gewesen. «Ein Ungemach höchstens für sie», sagte er. «Die armen leichtbewaffneten hunnischen Kundschafter. Hier in den unwegsamen Bergen unvermutet auf eine Kolonne gotischer Wolfskrieger zu treffen. Das ist ihr Untergang.»
Die Prinzen strahlten. Diese Vorstellung gefiel ihnen offenbar. Mir war, ehrlich gesagt, eher beklommen zumute.
«Wahrscheinlich handelt es sich nur um einen Voraustrupp, der die Berge nach Pässen auskundschaften soll. Eine Überraschung für uns. Ein guter Soldat aber sollte immer auf Überraschungen gefasst sein.» Nachdem er die beiden Wolfskrieger angewiesen hatte, wieder aufzusitzen, ritt er bis zum Ende des Passes und von dort hinunter zum Seeufer. Und dort, gegenüber von uns zur Linken, erwartete uns eine Horde Hunnen mit bereits in die Bogen eingelegten Pfeilen.
Vor uns auf der anderen Seite des Sees, am hinteren Ende der Felswände hinter dem schmalen Kieselstrand, befand sich die zweite Gruppe. Aëtius wandte sich um. Drei Gruppen also insgesamt, na schön. Hinter uns, oben auf den Felsklippen, unter denen wir soeben entlanggeritten waren, lagen Hunnen, die von ihren Pferden abgesessen waren, mit ihren Bogen auf der Lauer. Andere hatten große Felsbrocken an den Rand der Klamm gerollt und
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