Attila - Die Welt in Flammen
rissen nicht ab. Er wandte den Kopf zur Seite. Der Feind durfte es nicht erfahren. Litten sie denn nicht auch, in ihrer ummauerten Stadt?
Die Scheiterhaufen wurden immer größer, die Toten wurden immer mehr, und Stunde um Stunde gab es neue Erkrankungsfälle. Wie konnte das geschehen, unter den schützend ausgebreiteten Schwingen Asturs, des allmächtigen Vaters? Doch die Luft war schwer, und die Flügel des Adlergottes, die sich von Horizont zu Horizont spannten, waren von finsterem Grau. Es schienen keine Flügel zu sein, unter denen ein Mensch Zuflucht fand. Die Hexe Enkhtuya sprach viele Zaubersprüche und vollführte pausenlos seltsame Rituale. Eine Weile lang hörte der Regen auf und die Sonne kam hervor, dann wieder summten die Stechmücken bei Nacht, und im Morgengrauen stanken die nasse Erde und die fauligen Flüsse nur umso heftiger. Wie sehr sich alle nach den trockenen, windigen Ebenen sehnten!
Nun also war Aladar erkrankt, der schöne Aladar, der sieben Frauen zu viel hatte.
«Und, Großer Tanjou», sagte der Krieger, der noch immer das Haupt gesenkt hielt und dessen Stimme zögerlich und furchtsam klang, «Königin Checa.»
Attila sah auf, mit festem, undurchdringlichem Blick.
* * *
Königin Checa lag auf dem Rücken und hatte die Augen kaum geöffnet. Ihr fein geschnittenes Gesicht mit den hohen Wangenknochen spannte sich wie Pergament – es brach einem das Herz, sie so zu sehen. Attila schickte die Frauen hinaus und kniete an ihrer Seite nieder. Die ganze Nacht und auch noch den folgenden Tag über blieb er bei ihr. Allein deshalb kam der Angriff der Hunnen zum Stillstand. Die Belagerung schien ihn nicht mehr zu interessieren. Seine Generäle, die noch übrig geblieben waren, der alte Chanat, Geukchu, Noyan und Orestes, erwarteten seine Befehle. Es kamen keine.
Im Morgengrauen tauchte der König aus dem Zelt der Königin auf und blieb eine Weile draußen stehen, er atmete schwer und blickte zu Boden.
Schließlich ging Orestes auf ihn zu. Er wusste, was geschehen war. Er überlegte noch immer, was er sagen sollte – was für einen wertlosen Trost er ihm geben konnte –, denn Attila hatte seine erste Frau über die Maßen geliebt. Sie hatte ihn geheiratet, als er nichts als ein bettelarmer Prinz von Geblüt war, der dann das Handwerk des Banditen gelernt und sich zum Stammesführer aufgeschwungen hatte, und sie war während all jener bitteren Jahre bei ihm geblieben, hatte seine Söhne und Töchter zur Welt gebracht, war mit ihm durch die Lande gezogen, hatte so manche Wunde gepflegt. Zwischen ihnen hatte eine tiefe, unausgesprochene Liebe bestanden.
Bevor Orestes etwas sagen konnte, zuckte Attila seine mächtigen Schultern, hob den Kopf und sprach: «Alle Männer müssen sterben. Und alle Frauen auch.» Dann ging er seiner Wege.
Checa wurde ohne großes Zeremoniell am Rande eines eingeebneten Obsthains bestattet. Attila zeigte keinerlei Regung, aber etwas in seinem Blick war erloschen.
* * *
Auch Aladar lag auf dem Krankenbett. Er hatte rot geränderte Augen, Schweiß lief ihm übers Gesicht, sein feines rabenschwarzes Haar klebte ihm an den Wangen.
Chanat betrat sein Zelt.
«Vater», murmelte er.
Chanat kniete neben ihm nieder. Sein Brustkorb hob und senkte sich vor Schluchzen.
Aladar wurde ganz aufgeregt. «Vater, ich sehe so schreckliche Dinge!» Er versuchte, sich aufzusetzen, war aber zu schwach. Seine Stimme klang heiser und verzweifelt. «Ich sehe dieses Zelt in Flammen stehen. Ich sehe die ganze Welt in Flammen! Ich sehe Leute an Kruzifixen hängen entlang einer öden Straße durch die Wüste! Ich sehe sogar Astur», seine Stimme zitterte, «einen großen Adler mit einem Bogen –»
«Still, mein Junge, still», sagte Chanat und legte seine raue Hand auf die Stirn seines Sohnes. «Das ist das Fieber. Es ist nur ein Fiebertraum.»
Langsam ließ die Erregung nach, und als Aladar wieder redete, klang seine Stimme gefasst, obwohl er um jeden Atemzug rang. «Vater», sagte er, «lass mich nicht auf dem Krankenbett sterben. Lass mich nicht wie eine Frau im Kindbett sterben!»
Chanat drückte die Hand seines Sohnes, senkte den Kopf und nickte.
Dann rief er die Frauen herein und ließ sie ihren Herrn ein letztes Mal baden und ihn mit Öl einreiben. Sie bürsteten ihm das lange Haar und den prächtigen schwarzen Schnurrbart. Sie kleideten ihn in sein schönstes Gewand, während er sich an den Zeltpfosten klammerte. Er war aschfahl im Gesicht, hatte einen glasigen Blick,
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