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Attila - Die Welt in Flammen

Attila - Die Welt in Flammen

Titel: Attila - Die Welt in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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ihn klammerten, dachte er an die Zeilen, die Euripides während des ruinösen Peloponnesischen Krieges geschrieben hatte:
    In den Theatern lachen die Menschen über Phallusse. Auf einer fernen Insel in der Ägäis werden bartlose Knaben in ihrem Namen geschlachtet. Dies ist die Welt, von der ich Abschied nehme. Wie rasch und tief wir gesunken sind!
    * * *
    Das Ganze hatte einen faden Nachgeschmack bei ihm hinterlassen. Langsam ritt Aëtius durch die engen Straßen der Stadt, das Pferd eng am Zügel haltend und zu Boden starrend. Dies war jedoch nicht die ganze Geschichte Roms. Mut, Opfer, menschliche Würde waren ebenso Teil davon. Es hatte Regulus und Horatius gegeben, Trajan und Augustus, ehrbare Herrscher mit Visionen. Aber lag nicht alles Gute in der Vergangenheit, war nicht der Ruhm für immer vergangen?
    Unwillkürlich musste er wieder an die leeren Steppen denken, an Krieger mit kupferfarbener Haut, ihren Ehrbegriff, ihren unerschütterlichen Mut, ihre schlichte Selbstaufgabe, die wunderbare Verachtung des Todes, die Liebe zu ihrem Herrscher.
    Auf der einen Seite also eine prächtige Grausamkeit. Auf der anderen Seite eine moralisch verkommene Grausamkeit. Was für ein himmelweiter Unterschied!
    Ohne sich seiner Handlungen vollkommen bewusst zu sein, band er sein Pferd an und ging in eine schlichte Kirche, ein kleines, kühles Gebäude mit weiß gekalkten Wänden, einer gewölbten Apsis, schmalen Fenstern und einem halben Dutzend rauchenden Kerzen. Ein alter Dechant nickte ihm zu; sein grauer Bart wies rußschwarze Strähnen auf, und sein fahlgrünes Gewand war ganz verschossen. Um den Hals trug er ein billiges hölzernes Kreuz, das an einer Schnur mit Perlen aus Olivenholz hing. An der westlichen Wand war ein plumpes, aber tief empfundenes Bild von Christus mit den Brotlaiben und den Fischen und den Gesichtern der hungernden Menge zu sehen. Er opferte sich, damit die Menschen zu essen hatten. Sie lebten.
    Selbst hier war das Gebrüll der Menge aus der Arena zu hören. Der alte Dechant bekreuzigte sich, als er sah, wie der athletische, nicht mehr ganz junge Offizier vor dem Kreuz kniete. Dann ging er zu ihm hinüber und sprach ihn ohne Vorrede an, wie Heilige, die allein leben, es oft tun; sie haben keinen Gefallen mehr an Höflichkeitsfloskeln.
    «Wir leben in einer Endzeit», sagte er, und seine Stimme war ganz heiser, weil er so lange nicht gesprochen hatte. «Aber der Weg, der jeder Seele offensteht, ist eindeutig: der breite Pfad oder der schmale? Die Arena», er legte den Kopf auf die andere Seite, «oder das Haus Gottes.
Quo vadis?
»
    «Weder in die eine noch in die andere Richtung», erwiderte der General. «Mein Platz ist auf dem Schlachtfeld.»
    Der alte Dechant machte ein finsteres Gesicht.
    «Aber ich kämpfe hierfür», sagte Aëtius und deutete auf das Innere der Kirchen. «Nicht dafür.» Und dabei deutete er hinüber zur Arena, in der wieder der Jubel der Massen aufbrandete.
    Der Dechant blickte dem General tief in die Augen. Dann sagte er: «Sankt Michael und alle Engel begleiten dich.»
    * * *
    Als Aëtius ins Lager zurückkehrte, wurde ihm mitgeteilt, er habe einen Besucher.
    «Keine Zeit», erwiderte er barsch.
    «Er ist von weither gekommen, Herr. Aus Britannien.»
    «Aus Britannien?»

3. LUCIUS, DER BRITANNIER
    D er Besucher war mittlerweile ein alter Mann, fünfundsechzig, vielleicht sogar siebzig, seine Kleider waren staubbedeckt und er kam Aëtius kleiner vor. Als Aëtius ihn zuletzt gesehen hatte, war er selbst noch ein Junge gewesen. Jetzt erinnerte er sich wieder an die grauen Augen, die breiten Schultern, den entschlossenen Blick. Der alte Britannier hatte kurzes weißes Stoppelhaar und einen langen Barbarenbart. Unter dem Bart verbarg sich eine Narbe, wie Aëtius wusste.
    «Du bist Lucius», sagte er.
    Der alte Mann nickte, salutierte aber nicht. Er war schließlich kein römischer Soldat mehr. «Ich wusste immer, du würdest es weit bringen. Nun bist du der Anführer des Westreiches, stimmt’s?»
    «Der Kaiser ist der Anführer des Westreiches.»
    «Ach ja?»
    Sie blickten einander an. Sie waren einander nicht gleichgestellt, aber Brüder im Geiste.
    «Und dein Freund, der alte Jude, Gamaliel», fuhr Aëtius fort. «Ich habe ihn wiedergetroffen.»
    «Der alte ‹Jude›?» Lucius runzelte die Stirn. «Den habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen, aber er ist ein waschechter Kelte.» Die beiden sahen sich kurz in die Augen, dann seufzte Lucius. «Aber ich glaube, wir

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