Attila - Die Welt in Flammen
Galopp – die Pfeilspitzen waren mit dornengespickten Haken besetzt – war berühmt-berüchtigt. Dahinter folgten die ebenso edlen augustäischen Pferde, die freudig dahintrotteten, weil sie nun endlich wieder laufen durften. Ganz zum Schluss kamen die vier zählebigen Grenzlegionen: die I. , II ., XII . Artillerie, und die XIV . Aëtius ritt mit General Germanus und seiner eigenen, bunt zusammengewürfelten Leibgarde voran. Er warf einen Blick über die riesige Menschenkolonne hinter ihnen. Das alles sah gut aus an diesem klaren Wintermorgen. Zwar waren sie dezimiert und in der Unterzahl, aber es sah noch immer gut aus.
«Wo werden wir Aufstellung nehmen?», fragte Germanus.
«Jenseits des Padus.»
«Verzeiht, aber glaubt Ihr tatsächlich, dass er seine Männer im Winter über die Julischen Alpen führen wird?»
Aëtius nickte. «Er hat die Julischen Alpen schon einmal im Winter überquert, als kaum elfjähriger Junge. Er floh vor uns, mit zwei Gefährten, einem weiteren Jungen und seiner Schwester. Vermutlich gefällt er sich darin, denselben Weg nochmals zu nehmen.»
Sie umrundeten die Sümpfe am Ufer der Adria und überquerten die Flüsse Padus, Athesis und Plavis, und innerhalb von fünf Tagen gelangten sie zu der breiten Ebene Venetiens. Ein guter Ort, um zu kämpfen. Hier würde der Gang der Geschichte entschieden werden. Aëtius sandte Späher bis nach Aemona und an den Oberlauf des Savus, aber im Osten war nichts zu erkennen. Die Hunnen waren also nicht vor Ablauf von drei Wochen hier. Das kam nicht überraschend. Attila hatte keine Eile, lieber hielt er sie im Ungewissen, spielte mit ihnen. Er wäre kein so großer Eroberer geworden, hätte er sich nicht perfekt auf die Kunst des Taktierens verstanden.
Aëtius ließ nicht zu, dass seine Männer auch nur einen Augenblick lang untätig waren. Nachdem sie das Lager errichtet hatten, mussten sie Gräben ausheben, Wälder und Unterholz roden, sich sogar im Wettstreit untereinander messen, ein Regiment gegen das andere. Und es gab noch weitere feierliche Rituale, etwa das
tubilustrium
, die Reinigung der Kriegstrompeten für den bevorstehenden Feldzug, eine der zahlreichen jahrhundertealten Traditionen der Legionen. Aëtius konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass diese Zeremonie womöglich zum letzten Mal abgehalten wurde.
Nachdem er die Männer dem Kommando des versierten Generals Germanus unterstellt hatte, ritt er nach Aquileia.
Er suchte einen unerhört wohlhabenden Senator auf, einen gewissen Nemesianus, einen Mann, den er verachtete, der aber gehörigen Einfluss hatte. Er stand dem Kaiser nahe, so hieß es. Vielleicht lohnte es sich ja, vielleicht konnte er ihn überzeugen, die Sache zu unterstützen. Bislang hatte die Klasse der Senatoren es in beschämender Weise an militärischem oder patriotischem Geist mangeln lassen.
Von Nemesianus’ riesiger Villa – einer seiner Villen – wurde er ins Amphitheater von Aquileia geschickt. Obwohl die Hunnen gewissermaßen schon vor der Tür standen, wurden aus purer Gewohnheit noch ein paar Spiele abgehalten.
Nemesianus war ältlich, strahlte aber das Wohlbefinden der wahrhaft Reichen aus, die meist auch sehr lange leben. Aëtius fand ihn auf den oberen Rängen, er trug einen wunderschönen Umhang, der gänzlich aus Hermelin zu bestehen schien. Zwei seiner
spintriae
, seiner Lustknaben, waren bei ihm; der eine von ihnen war unter den Pelzen mit seiner Hand beschäftigt. Nemesianus grüßte den General ohne sonderliches Interesse, eher leicht verärgert.
Die Menge trampelte, klatschte und johlte, als eine Schar aneinandergeketteter Verbrecher in die Arena gepeitscht wurde, um zur öffentlichen Erbauung gekreuzigt und ausgeweidet zu werden. Die Kirche hätte schon vor Jahrzehnten den Gladiatorenkämpfen ein Ende setzen können, doch Folter und Hinrichtung von Gesetzesbrechern wurden nach wie vor als notwendige Lektion erachtet, um das Volk zu zivilisieren. Über die ganzen teuren oberen Ränge verteilt, saßen viele Zuschauer, deren geschickte
spintriae
oder Huren sie genau im Augenblick des Todes in der Arena zum Höhepunkt brachten; Sex-Sklavinnen mit Namen wie «Begierde», «Glück» oder «Liebling».
Aëtius hasste die Spiele. Die vulgären Gesichter der Zuschauer, die hier zu brutalen Wesen mutierten; der verdorbene Fisch, der in den Rängen verkauft wurde und den man frittiert hatte, um den Fäulnisgestank zu überdecken; die dürren Prostituierten unter den Arkaden, vor denen die
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