Attila - Die Welt in Flammen
gerade vertieft war.
Pytheas seufzte theatralisch. «In Viminacium … Mein Kaiser, ich mag gar nicht glauben, dass das stimmen kann.»
«Sprich», wiederholte Theodosius scharf.
Pytheas warf einen Blick zur Seite, wo ich saß, nahm mich aber gar nicht wahr.
«In Viminacium», fing er erneut übertrieben deutlich an, «haben an der Seite der Hunnen anscheinend Männer mit bezogenen Schilden gekämpft – angeblich, dem Vernehmen nach. Jedenfalls sind nach der Schlacht dort offenbar Schilde zurückgelassen worden. Und als die Hunnenhorden nach Süden abgezogen waren, ist es einigen unserer Männer gelungen, sie zu bergen.»
Das kam mir in höchstem Maße zweifelhaft vor. «Aber es hat doch kein Einziger unserer Männer dort überlebt», wandte ich ein.
Pytheas warf mir einen Blick zu, bei dem selbst eine Gorgo zu Stein erstarrt wäre. «Vergiss nicht, dass du nur ein Schreiber bist, Priscus aus dem weithin berühmten Panium», höhnte er, «in welcher herausgehobenen Stellung auch immer. Also schweig still und schreibe.»
Vom Kaiser wurde dieser Wortwechsel kaum zur Kenntnis genommen.
Pytheas fuhr mit einem Seufzen und scheinbar schweren Herzens fort. «Die geborgenen Schilde waren rot mit goldenem Rand, und in der Mitte prangte ein großer schwarzer Adler.»
Jetzt endlich hob Theodosius die kurzsichtigen Äuglein von seinem Manuskript und blinzelte verwirrt um sich.
Pytheas nickte. «Ja, mein Kaiser. Die Abzeichen der Legio Herculiani.»
Die Herkulianische Legion. Eine der besten, die es gab. Eine westliche Legion unter dem direkten Befehl von General Aëtius.
Theodosius blickte weiter verständnislos drein. Und dann holte Pytheas, dieser vollendete Schauspieler, zum krönenden Knalleffekt aus. Er rief einen Sklaven herein, der durch die Tür eintrat und mit dem Rücken voran, um der Göttlichen Majestät auf keinen Fall ins Antlitz zu sehen, das Gemach durchquerte, zwei Gegenstände zu Füßen des Kammerherrn niederlegte und wieder hinaushuschte. Pytheas bückte sich und hob sie auf. Es handelte sich um einen großen runden Holzschild mit Bronzebuckel und goldenem Rand, verziert mit dem schwarzen Adler der Herculiani auf rotem Grund, ganz, wie er gesagt hatte, sowie einen langen, unterhalb der Spitze mit bunten Federn besetzten Speer, in dessen Schaft allerlei schamanische Runen eingeritzt waren. Ein Hunnenspeer. Pytheas hielt Schild und Speer nebeneinander in die Höhe. Um den Kampf Seite an Seite zu veranschaulichen.
Die Wirkung war enorm.
Der Kaiser taumelte nach vorn, riss dabei sein Lesepult polternd zu Boden. «Nein!»
«Mein Kaiser», sagte Pytheas, «es ist meine aufrichtige Hoffnung, dass es sich lediglich um ein schreckliches Missverständnis handelt.»
Doch das Bild von Legionären aus dem Westen, die Seite an Seite mit hunnischen Speerträgern kämpften, hatte sich dem gutgläubigen Kaiser bereits unauslöschlich eingeprägt.
«Tatsächlich», fuhr Pytheas fort, «könnte es sich sogar um eine niederträchtige Finte Attilas handeln, um einen Keil zwischen Ost- und Westrom zu treiben.»
Oh, dieser tückische Kammerherr! Nicht als Erster wandte er den schlauen Kniff an, das Augenmerk von der Wahrheit abzulenken, indem er sie unverblümt aussprach.
«Nein!», rief der Kaiser. «Ich habe genug gehört. Erst wird mir Hilfe verweigert, dann unterbreitet General Aëtius mir scheinheilig das Angebot, mit seiner Streitmacht zu uns nach Konstantinopel zu kommen. Jetzt verstehe ich, warum! Mein Vetter Valentinian hat schon öfter den Verdacht geäußert, dass Aëtius letzten Endes darauf abzielt, die Kaiserwürde selbst an sich zu reißen, notfalls mithilfe der Hunnen. Jetzt wird mir klar, dass das stimmt. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich der Westen gegen den Osten wendet. Man denke nur an Mursa, vor hundert Jahren. Was für eine fürchterliche Schlacht.»
Es quälte mich, Priscus, diesen Namen zu hören. Die Liste militärischer Katastrophen in den letzten hundert Jahren war lang: gegen die Goten in Adrianopel; gegen die Perser unter ihrem Großkönig Schapur, in der nächtlichen Schlacht von Singara. Mursa jedoch war die schlimmste Wunde von allen, selbst zugefügt noch dazu, ein durch die zerstrittenen Söhne Konstantins des Großen und den Usurpator Magnentius heraufbeschworenes Unheil; ein Reich, das sich selbst zerfleischte, mit einem Blutzoll von sechzigtausend Toten und Verwundeten an einem einzigen Tag.
Heute aber war mein geliebter Schüler Aëtius Heermeister des Westens.
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