Attila - Die Welt in Flammen
Rom würde sich gegen seine Feinde zur Wehr setzen, und zwar erfolgreich. Ich betete darum. Aber ach, durch die genialen Ränke und Einflüsterungen Attilas und seines Netzwerks von Agenten und Komplizen drangen weiter Tag für Tag Falschinformationen zum Hof durch, die den zwar wohlmeinenden, aber hoffnungslos weltfremden, unbedarften und leichtgläubigen Kaiser Theodosius in schlimme Verwirrung stürzten. Diesen Buchgelehrten, dem Bosheit und Niedertracht persönlich so fern lagen, dass er sie auch anderen nicht zutraute oder die Falschen verdächtigte – und so bei jedem Urteil, das er traf, unfehlbar danebenlag.
* * *
Nachdem Pytheas sich zurückgezogen hatte, war ich so kühn, dem Kaiser, meinem Herrn, meine Sicht der Dinge anzudienen. Er hatte es unseligerweise versäumt, gute Berater um sich zu scharen; das schlimmste Versäumnis, das einem Herrscher wie ihm nur unterlaufen kann.
Im Krieg, hob ich sentenzenhaft an, ist in der Regel die Wahrheit das erste Opfer. Er schien gar nicht zuzuhören, gebot mir aber auch nicht, zu schweigen.
«Aëtius ist ein Mensch von lauterem Charakter. Täuschung ist ihm völlig wesensfremd», sagte ich. «Vergesst nicht, mein Kaiser, ich war eine Zeit lang sein Lehrer.»
Theodosius blickte auf, die Stirn in Falten gelegt. «Stimmt», sagte er leise. «Das war mir ganz entfallen.»
«Oh, er war kein sonderlich guter Schüler, das nicht.» Ich gestattete mir ein versonnenes Lächeln, um dann mit desto mehr Nachdruck fortzufahren. «Attila dagegen ist ein Meister der Täuschung. Er scheut vor keiner List zurück, und sei sie noch so schmutzig.»
Er schien hin und her gerissen. Ich sah den Menschen unter den goldstarrenden Gewändern, sah seine tiefe innere Seelenqual. Wie sehr es ihm verhasst war, Kaiser zu sein, es war für ihn eine einzige Bürde. Nicht zum ersten Mal war ich heilfroh, kein Herrscher oder Staatsmann zu sein, deren Leben aus einer langen, undankbaren Abfolge von allseits geschmähten Entscheidungen zwischen zwei Übeln besteht, das eine geringfügig kleiner als das andere. Anders als Poeten ist es Politikern nun einmal nicht vergönnt, sich ganz dem Guten und Schönen widmen zu dürfen.
Schließlich entließ er mich mit einem matten Wink.
In jener Nacht schlief ich schlecht. Irgendwann vor Morgengrauen trat ich hinaus auf meinen kleinen Balkon und blickte hinab auf die stillen, mit einer silbrigen Spur aus Mondlicht übergossenen Gewässer des Goldenen Horns. Um mich herum Glyzinien und Judasbäume, schwer duftender Jasmin, der Gesang von Nachtigallen oben in den Kiefern. Draußen auf dem Wasser zwei nächtliche Fischer, die beim Schein von Laternen ihre Netze auswarfen. Am Bug ihres Bootes konnte ich im Mondlicht das uralte Symbol des stilisierten Auges erkennen, blau und weiß, das Unheil abwehren sollte. Hinter mir, für mich unsichtbar, die goldenen Dome und Kuppeln der Stadt, unbeschreiblich schön erglänzend im Mondschein, ich hatte es genau vor Augen. Das monumentale Standbild Konstantins hoch oben auf seiner Säule, ganz nahe bei Gott. Würde all dies zugrunde gehen? All die seltenen Wunder dieser zauberhaften Stadt, gefangen zwischen Ost und West (Wunder, die ich, Priscus von Panium, mit bescheidener Gelehrsamkeit in einem kleinen Stadtführer versammelt hatte, der in gewissen literarischen Zirkeln vor Ort nicht wenig Bewunderung erregte)? Die eigentümliche dreiköpfige Schlange aus Messing auf ihrer Säule im Forum, von Konstantin dem Großen selbst aus dem Apollontempel zu Delphi herbeigeschafft, die als Weihgabe zum Dank für den griechischen Sieg über die Perser bei Platää, 479 Jahre vor der Geburt Christi, angefertigt worden war. Oder der riesig aufragende Obelisk des Pharaos Thutmosis III ., uralt und aus glatt poliertem Granit, in dem die Hieroglyphen noch ebenso gestochen scharf zu erkennen waren wie vor Jahrtausenden, als Sklaven sie im alten Ägypten hineinmeißelten, einem heute längst verschwundenen Reich. Auch die größten Imperien also können spurlos untergehen. Alles ist dem ehernen Gesetz des Wandels unterworfen und in ewiger Metamorphose begriffen. Ja, eines Tages, früher oder später, würde auch diese Pracht hier dem Wandel zum Opfer fallen und in Staub versinken.
Hoffnung, so hieß es einst bei den Alten, sei bloß ein Zeichen von Torheit. Wir Christen heute verfügen nicht mehr über ihre Stärke, ihren tapferen Pessimismus.
Vor Chaos und Verfall sind wir auf Erden nicht gefeit. Doch ebenso gibt es auch die
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