Attila - Die Welt in Flammen
müden grünen Augen blitzte ein Anflug von Freude auf. «Wie schön, dich zu sehen. Gut, dass du zurückgekehrt bist.»
Aëtius blickte sie ruhig an, und auch auf seinen Zügen lag so etwas wie ein Hauch von Wiedersehensfreude. «Man kann nicht ewig Schach gegen König Theoderich spielen.»
«Und verlieren?»
«Mit Absicht, das versichere ich Euch.»
* * *
Die Lage spitzte sich zu. Dem Vernehmen nach traten gewisse Kreise am Hof zu Ravenna zusammen mit einigen hochrangigen Offizieren der Westarmee in aller Vertraulichkeit an Aëtius heran, um ihn gemeinsam zu beschwören, die Kaiserwürde an sich zu reißen, sich das Diadem aufs Haupt zu setzen und den Purpur um die Schultern zu legen. Valentinian, so sagten sie, sei ein brabbelnder Wirrkopf, der das Reich in den sicheren Untergang führe. Aëtius aber hielt ihnen die Lehre der Kirche entgegen: Der Kaiser war von Gott berufen, als Werkzeug zu einem Zweck, der dem menschlichen Auge notwendig verborgen blieb.
«Dann hätten wir ihn beseitigen sollen, ehe er Kaiser wurde», stellte Germanus fest, ein stämmiger Rotschopf mit runden, rosigen Wangen. Er war einer von Aëtius’ besten Generälen, der selten ein Blatt vor den Mund nahm.
«Man kann einen Knaben nicht umbringen.»
«Hättet Ihr Hannibal als Knaben nicht getötet, wenn Ihr das vermocht hättet? Bedenkt nur, wie viele Menschenleben Ihr damit vor dem Untergang bei Cannae bewahrt hättet.»
Aëtius schüttelte den Kopf.
«Oder Judas Ischariot, diese Schlange?»
Aëtius murmelte: «‹In Judas’ verlorener Knabenzeit schon ward Christus verraten.›»
Germanus sah ihn verdutzt an. Mit Dichtung hatte er nicht viel im Sinn.
Aëtius seufzte. «Wie hätten unsere Sünden je vergeben werden sollen, wenn Christus nicht verraten und ans Kreuz geschlagen worden wäre? Auch Judas war ein Werkzeug Gottes.»
«Aber der Kaiser ist ein Schwachkopf, der nur Unsinn brabbelt!», rief Germanus aufgebracht.
Aëtius mahnte ihn, seine Stimme zu dämpfen. «Das ist mir bewusst», fügte er hinzu. «Viele Kaiser waren nicht besser. Aber es steht uns nicht zu, himmlische Ratschlüsse außer Kraft zu setzen. Sie sind die weltlichen Gewalten, von denen der heilige Paulus spricht.»
«Auch dann, wenn diese Gewalten das Reich verraten und dem Untergang ausliefern?»
Aëtius schwieg.
«Ihr seid es dem Senat und dem Volke schuldig», ließ Germanus nicht locker, «dem guten alten
Senatus populusque Romanus
, die Schwachen und Wehrlosen zu verteidigen, die Witwen und Waisen, die christlichen Völker Europas.»
«Und ich werde die christlichen Völker Europas verteidigen!», brauste Aëtius auf, den langsam der Zorn packte. Er schwieg einen Moment, um die ungehörige Gefühlsaufwallung zurückzudrängen, und setzte schließlich hinzu: «Aber nicht auf diese Weise.»
Sie müssten, führte er weiter aus, das Leben leben, das Gott ihnen zugewiesen hatte. Er jedenfalls sei ein General, der Soldaten befehlige, kein Mörder. Er würde seine Pflicht tun. Das müssten sie alle.
* * *
Valentinian beharrte weiter stur darauf, dass die östliche Feldarmee Attila schon bald zum Kampf stellen und bezwingen würde – während die Legionen des Westens nach wie vor zur Untätigkeit verdammt waren.
«Außerdem», erklärte er mit einem sonderbaren Lächeln, «sind noch andere Unternehmen in Vorbereitung.»
Denn der Statthalter Gottes im Westen, Verteidiger der Kirche, Beschützer der Christenheit, hatte sich finsterem Aberglauben und abscheulichen Zauberritualen zugewandt, von denen sich nur jene angezogen fühlen, die ebenso dumm wie verdorben sind.
Galla Placidia selbst suchte Aëtius eines Abends auf, zitternd und kreidebleich. Er bestand darauf, dass sie sich setzte, und bot ihr Wein an, den sie ablehnte.
«Mein Sohn», stieß sie hervor und barg das Gesicht in den Händen. Ihre Schultern bebten, und Aëtius wurde mit Schrecken klar, dass er sie zum ersten Mal, seit er sie kannte, weinen sah. Den Anblick sterbender Männer, den konnte er ertragen. Aber weinende Frauen … Nach einer Weile gab er sich einen Ruck und legte ihr seine breite Hand auf die Schulter. Worauf sie sich umgehend beruhigte, wie jemand, der jäh aus einem Traum hochschreckt. Nachdem sie sich die Augen mit einem weißen Tüchlein getrocknet hatte, stand sie auf und ging langsam im Zimmer umher.
«Mein Sohn … ist wahnsinnig», sagte sie.
Aëtius wartete geduldig, bis sie weitersprach.
Galla, der das unnütze Verstreichen kostbarer Zeit ebenso
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