Auch das Paradies wirft Schatten
Strom von Tränen aus Mariannes Augen, der kein Ende mehr nehmen wollte.
Siegurd berichtete daraufhin, was sich zwischen Pedro und Mathilde von Bahrenhof wirklich zugetragen hatte. Zum Glück hatte ihm Mathilde ja die Geschichte ganz offen erzählt, und dies mußte er Marianne sogar noch unverblümt eingestehen, sonst hätte sie ihm keinen Glauben geschenkt. Sie fragte ihn nämlich mißtrauisch: »Woher weißt du das alles so genau? Bist du selbst dabei gewesen?«
»Nein.«
»Dann muß es dir ein Beteiligter mitgeteilt haben.«
»Ja.«
»Pedro?«
»Nein, Mathilde.«
Marianne verstummte. Da aber der Ausdruck des Mißtrauens nicht aus ihrem Gesicht verschwand, fühlte sich Siegurd gezwungen, eine Generalbeichte abzulegen.
»Glaub mir, das stimmt schon«, begann er. »Wir hatten keine Geheimnisse voreinander. Du ahnst nicht, wie weit das ging. Ich will es dir sagen, es bedrückt mich sowieso schon seit dem großen Brand …«
Und schonungslos gegen sich selbst berichtete er von dem Plan, den er und Mathilde geschmiedet hatten, um sich in den Besitz des Gutes zu setzen. Im Zuge dieses Planes seien, sagte er, jene Küsse Mathildes ein von ihr angestrebtes Mittel gewesen, sich Pedro gefügig zu machen. Das müsse ihr, Marianne, doch einleuchten. Oder nicht?
»Doch«, nickte Marianne, nun restlos überzeugt.
Und sie schämte sich. Sie kam sich klein und häßlich vor, nicht wert, einmal Marianne von Aarfeld zu heißen. Ich muß sofort zu Pedro, dachte sie. Dr. Faber muß mich nach Aarfeld fahren. Ich muß Pedro um Verzeihung bitten. Ich will nie wieder an ihm zweifeln, will nur ihm glauben, denn ich weiß nun, daß er mich liebt und alle Worte, die er spricht, Wahrheit sind, weil er gar nicht lügen kann.
Sie sprang auf.
»Wohin?« flüsterte Siegurd, den die lange Beichte unendlich ermüdet hatte.
»Zu ihm!«
Und ehe er ihr an ihn auch Grüße von ihm, seinem Bruder Siegurd, auftragen konnte, war sie schon an der Tür.
Er lächelte ihr nach. Erst draußen auf dem Flur fiel ihr ein, daß man sich von einem Patienten auch verabschieden mußte. Sie steckte den Kopf noch einmal ins Zimmer.
Aber Siegurd schlief schon.
Mit kreischenden Bremsen hielt der Wagen Pedros auf dem Innenhof von Gut Bahrenhof. Ein Stallbursche rettete sich durch einen Sprung zur Seite.
Pedro wand sich aus dem Wagen und wollte ins Haus stürmen.
»Die Frau Baronin ist nicht da«, sagte der Stallbursche rasch.
»Wo ist sie?«
»Drüben im Bruch. Sie wollte heute Hasen schießen.«
»Danke.«
Pedro sprang wieder in den Wagen, fuhr mit einem Ruck an, lenkte hinüber in den großen Wald, der sich bald an das Gut anschloß, scheute nicht die unebenen Forstwege und stoppte nach drei Kilometern vor einem engen Tannenstück. Dort stieg er aus, schlug die Wagentür hinter sich zu und ging quer durch das Tannenstück zu einer weiten, teils mit niedrigem, teils mit hohem Gras bewachsenen Fläche, die man in dieser Gegend den Bruch nannte, und die in der Hauptsache aus einem großen Sumpf bestand.
Am Waldrand blieb Pedro stehen und schaute sich um. Langsam wanderte sein Blick über die Haselbüsche und Krüppelbirken, über die Schilfinseln an den noch offenen Stellen des Moores und die breiigen Flächen des tückischen Bodens. Endlich sah er an einer halbhohen Weide eine schlanke Gestalt stehen und ging mit langen Schritten auf sie zu.
Ruhig, die Schrotflinte in der Hand, erwartete ihn Mathilde von Bahrenhof. Ihr blondes Haar wallte wundervoll über die grüne Lodenjacke.
»Wen sehe ich: Pedro von Aarfeld«, sagte sie mit ihrer melodischen Stimme, die so zärtlich, aber auch so kalt klingen konnte. »Wollen Sie in meinem Revier ein wenig wildern? Wo haben Sie die Waffe?«
Mit steinernem Gesicht stand der Baron vor ihr.
»Sie haben an meine Braut geschrieben«, sagte er hart und laut.
»Ich habe ihr gratuliert. Man weiß doch, was sich gehört.«
»Sie haben gelogen!«
»Wieso?« Sie lachte. Es klang perlend und aufreizend. »Ich habe geschildert, wie ich dieses Verlöbnis mit meinen Augen sehe.«
Pedro drohte die Beherrschung zu verlieren.
»Der ganze Brief strotzt vor Gemeinheit!« schrie er.
»Was wollen Sie hier?« fragte ihn Mathilde von Bahrenhof schroff.
»Sie werden Ihre Lügen meiner Braut gegenüber richtigstellen! Dazu zwinge ich Sie!«
»Mich zwingen?« In den Augen der Freiin glomm ein gefährliches Feuer auf. Sie riß plötzlich das Gewehr hoch und zielte auf Pedro. »Ich könnte Sie jetzt abknallen, und keiner sieht
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