Auch das Paradies wirft Schatten
Herausforderung aber, deren Wirkung verpuffte. Pedro schwieg. Er blickte geradeaus auf die Straße vor sich, die sich wie ein elastisches Band durch Wälder und Felder wand und seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen schien. Die Chaussee nach Niederstadt bestand aus zwei Teilen, einem guten und einem schlechteren. Pedro stellte mit der rechten Hand das Radio an und kam dabei ungewollt mit Mathildes Knie in Berührung.
»Verzeihung.«
»Keine Ursache.« Dies sagte Mathilde nicht nur so hin, sondern damit meinte sie wirklich und wahrhaftig, was sie sagte.
Pedro war aber eine harte Nuß. Mehr und mehr schälte sich heraus, daß das Schicksal Mathilde zu Hilfe kommen mußte, und es schickte sich dazu auch schon an.
Die Natur zeigte sich von ihrer besten Seite, das Wetter auch. Mathilde blickte aus dem Seitenfenster und sagte, Pedros Hang zur Romantik im Sinn, überschwenglich: »Wie herrlich die Sonne auf die Fluren scheint! Es muß ein wunderbares Gefühl sein, das alles sein eigen nennen zu können.«
»Man hat auch viel Arbeit«, schränkte Pedro ein, »das Ganze muß nicht nur erhalten, es soll auch noch vergrößert werden. Stillstand heißt Rückschritt, lautet ein ehernes Gesetz unseres Wirtschaftssystems.«
Es konnte gar nicht anders sein, als daß Mathilde sich betroffen fühlte und sagte: »Das geht eben über die Kräfte einer schwachen Frau.«
»Man muß sich auch als Mann anstrengen.«
»Sie schaffen das in bewunderungswürdiger Weise.«
»Es gibt auch geradezu unverständliche Verpflichtungen, die damit verbunden sind. Ich …«
Er brach brüsk ab. Er ärgerte sich über sich selbst, da er ums Haar ein Thema angeschnitten hätte, das andere nichts anging.
Das Majorat, dachte zutreffenderweise Mathilde, er meint das Majorat. Und sie nutzte die Gelegenheit, zum Kern vorzustoßen, indem sie sagte: »Ist es denn gar so schwer, eine passende Frau zu finden?«
Keine Antwort.
»Das ist es doch, was Sie bedrückt, Pedro?«
Er schwieg verbissen.
»Oder wollen Sie darüber nicht reden?«
»Nein.«
Der schlechtere Teil der Straße begann. Schlaglöcher und Bodenwellen rüttelten den Wagen durch. Pedro fuhr langsam, und das sollte sich als Segen erweisen. Mathilde legte sich in ihrem Sitz zurück und schlug die schlanken Beine übereinander, das rechte über das linke, und nicht umgekehrt. Das Resultat war geradezu zwangsläufig: Ihr rechter Fuß, der frei in der Luft hing, paßte sich den Schlaglöchern an, wippte in deren Rhythmus und stellte dabei jedesmal den Kontakt mit dem rechten Bein Pedros her.
Wieder aber blieben die Früchte aus, die Mathilde damit wenigstens im Ansatz zu ernten hoffte. Pedro reagierte nicht. Sein Bein blieb ausschließlich damit beschäftigt, Gas zu geben, wegzunehmen, zu geben, wegzunehmen, zu geben …
Ein sturer Bock, dachte Mathilde. Und vom Bock war der gedankliche Sprung nicht weit zum Stier, den bei den Hörnern zu packen sie sich entschloß.
»Diese Klett«, sagte sie, »hat ein Auge auf Sie geworfen, Pedro.«
»Was?«
»Die Klett, Fabers neue Sekretärin, hat ein Auge auf Sie geworfen.«
»Wer sagt Ihnen das?«
»Niemand, aber einer Frau entgeht das nicht.«
»Unsinn!«
»Doch, doch! Sie ließ das ja auch deutlich genug erkennen, ohne jede Zurückhaltung. Und wissen Sie, woher das kommt?«
Pedro wandte seinen Blick von der Straße ab und sah Mathilde an, schweigend. Eine Kurve rückte näher.
»Von diesen blödsinnigen Illustriertenberichten, in denen Männer aus unseren Kreisen, Adelige, nicht standesgemäß heiraten, in denen sie Stewardessen oder kleine Dolmetscherinnen und – bitte – Sekretärinnen heimführen. Das verdirbt die Sitten, Pedro, glauben Sie mir. Jede denkt, es der Silvia nachmachen zu können.«
Die Kurve war erreicht. Urplötzlich tauchte ein Bauernwagen, der ihnen entgegenkam, auf. Pedro sah die Pferde und das erschrockene Gesicht des an den Zügeln zerrenden Bauern ganz nah vor sich, er hörte einen hellen Schrei neben sich – und da hatte er schon die Bremse getreten sowie das Steuer nach rechts gerissen. Der schwere Kraftwagen schleuderte zur Seite, schlitterte über die Schlaglöcher der in der Kurve besonders schadhaften Straßendecke und kam unmittelbar vor dem Chausseegraben zum Stehen.
Rasch erholte sich Pedro vom ersten Schreck, doch dann empfand er den zweiten: Mathilde lag an seiner Brust, mit geschlossenen Augen.
War sie ohnmächtig? Verletzungen konnte man keine an ihr entdecken.
Der Bauer fluchte,
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