Auch das Paradies wirft Schatten
Klett spürte, daß sie ein Zucken ihrer Augenlider nicht unterdrücken konnte.
»Wissen Sie«, überspielte Pedro die Situation – ob gewollt oder ungewollt, blieb unklar, »ich finde es herrlich, daß Dr. Faber nach München mußte. Hoffentlich erwischt er heute kein Flugzeug mehr. Ich habe kein Bedürfnis, mich von ihm noch mit seinen Katalogen traktieren zu lassen. Viel lieber würde ich mit Ihnen heute nachmittag schon einen Spaziergang durch den Wald machen, einen Orientierungsbummel sozusagen. Hätten Sie Lust?«
Sie sprang auf. »Aber ja!«
Im Moment floh sie gerne diese Räume hier, um den Geist Siegurds zu bannen.
An jenem Abend, an dem sie mit ihm in der Ohio-Bar geweilt hatte, war sie mit der Welt in Berührung gekommen, die man die ›große‹ nennt und die sie nur aus Büchern und Filmen kannte. Ein glitzernder Raum mit einer Spiegeltanzfläche; mit schmiedeeisernen Geländern und Leuchtern; einer endlos langen Theke; Herren im Frack; Damen in Abendkleidern, Träumen aus Tüll, Spitzen, Lamé, Taft und Seide. Herren, die nicht mit 100 oder 200 Mark rechneten; Damen, die noch viel weniger erwarteten, daß ihre Begleiter damit rechneten; ein Orchester, das so wundervolle Weisen spielte, heiße und verträumte, daß man die Augen schloß und sich willenlos über den Spiegel gleiten ließ, an der Brust eines Mannes, der zärtlich und süß sagte, daß er die schönste Frau seines Lebens im Arme halte.
Siegurd von Aarfeld. Als er sie das erstemal küßte, blinkte es warnend auf in ihrem Inneren, aber sie küßte ihn wieder, weinselig, glücklich, einen Mann bei sich zu haben, der sie umschwärmte und verehrte. Und sie küßte ihn noch einmal und noch einmal und zuletzt auch, als er sie nach Hause brachte und sich korrekt an ihrer Tür verabschiedete. Nein, er versuchte nicht, die Situation auszunützen. Dr. Faber sah ihn falsch. Marianne kroch glücklich ins Bett und träumte von Tangos und feurigen Señores und lächelte im Schlaf. Was wußte sie von einer jungen, heißen Witwe, in deren Bett sich stundenlange Liebeskämpfe abgespielt hatten, aus denen jene Ermattung und Sittsamkeit resultierte, über die sie, Marianne, sich vor ihrer Haustür freuen zu dürfen glaubte.
»Mit Ihren Schuhen können Sie aber nicht losziehen«, sagte Pedro. »Im Wald ist's naß, vor allem gegen Abend, wenn wir doch länger draußen bleiben.«
Er weiß nichts von meinem Ohio-Bar-Besuch, dachte Marianne. Siegurd hat ihm nichts erzählt. Bin ich froh! Ein Mädchen darf sich nicht gleich beim erstenmal so gehen lassen. Ich wollte ja auch nur ein Stündchen bleiben, hatte ganz fest diesen Vorsatz. Aber der Wein war so gut … und dann der Champagner! Ich hatte noch nie welchen getrunken. Er war herrlich. Am nächsten Morgen sah allerdings alles schon wieder etwas anders aus. Ich hatte Kopfweh. Und im Geschäft war ich müde. Übel war mir auch. Siegurd sagte mir am Telefon, das käme alles vom Durcheinander, das ich getrunken hätte. Warum hat er mir dann dieses Durcheinander eingeflößt?
Pedro schellte. Er fragte, ehe ein Diener erschien, Marianne: »Welche Schuhgröße haben Sie?«
»Achtunddreißig.«
Dann stand der Diener in der Tür, ein langer, dürrer Mensch, mit einem Gesicht, das ständig zum Ausdruck brachte, daß er mit der ganzen Welt, sämtlichen lebenden und toten Gegenständen, unzufrieden war. Alle im Haus nannten ihn Lulatsch.
»Lulatsch«, sagte der Baron, »bring uns ein Paar Gummistiefel für die Dame, Größe achtunddreißig; außerdem den Damenlodenmantel, auf den ich dich schon hingewiesen habe.«
»Sehr wohl, Herr Baron.«
Lulatsch ließ einen raschen Blick über die Besucherin seines Herrn gleiten, dann stand sein Urteil fest: viel zu hübsch; solche Individuen verdrehen den Männern nur die Köpfe.
Er verließ den Raum.
Um die gleiche Zeit saßen sich auf Gut Bahrenhof Mathilde, die Herrin, und Baron Siegurd von Aarfeld gegenüber. Siegurd hielt es aber in seinem Sessel nicht lange aus. Er stemmte sich aus ihm hoch und legte sich auf die Couch, zog die Beine an, verschränkte die Hände unter seinem Kopf und fuhr fort, an seiner Zigarette zu paffen, die ihm im Mundwinkel hing.
»Paß auf auf die Asche!« ermahnte ihn Mathilde ziemlich unwirsch.
Sie machte einen etwas derangierten Eindruck, ihre sonst so gepflegten Locken waren zerwühlt. Unter einem bunten Seidenmorgenrock trug sie nur eine schwarze Spitzenkombination. Das paßte zur Kleidung, in der Siegurd auf der Couch lag. Sie war
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