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Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)

Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)

Titel: Auch dein Tod ändert nichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Rees
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mich nicht umdrehen konnte.
    »Sie spalten die Menge, kreisen uns von hinten ein«, sagte mir eine Stimme ins Ohr. »Wir müssen hier raus.«
    Charlie. Er war auch im Bus gewesen, aber ich hatte ihn in der Menge verloren. Er schob sich seitwärts, zog mich mit und hielt seine Kamera hoch, um Bilder über die Köpfe der Menge hinweg aufzunehmen. Die Sprechchöre gingen in Rufe und Geschrei über, als den Leuten klar wurde, dass sie in einer Falle saßen. Über uns kreisten Hubschrauber, und um uns herum filmten Kerle die Menge und fotografierten und waren auf dem Sprung, einzelne Leute herauszufischen.
Wir wichen in eine Seitengasse aus und kurvten zu einer anderen Stelle des Platzes. Hier war die Menge aufgeteilt. Eine Gruppe hatte einen Mannschaftswagen der Polizei umzingelt, besprühte ihn mit Graffiti und schlug mit Pylonen die Fenster ein. Ein Junge im schwarzen Parka, Kapuze auf und ein Tuch vor dem Gesicht, kletterte nach oben und versuchte, die Blinklichter abzutreten. Die rückwärtigen Türen sprangen auf und jede Menge Einsatzausrüstung der Polizei quoll heraus. Ich hob einen Helm auf. Charlie schrie: »Setz ihn auf!« Er schoss ein Foto, ebenso wie ein Kameramann der Nachrichten. Ich zeigte ihm den Finger. Irgendjemand hinter ihm filmte. Das ist das Bildmaterial, das in den Nachrichten kam. Jetzt waren Sirenen zu hören, die näher kamen.
    Charlie sah sich um. »Den Teil hier haben sie bald abgeriegelt. Es ist Zeit zu verschwinden.«
    Es gab überall Kämpfe mit der Polizei. Kleine Gruppen mit Kapuzen und verhüllten Gesichtern lösten sich plötzlich daraus, um den Kampf an anderen Stellen wieder aufzunehmen. Dann verteilten sie sich wie Funken im Wind. Man hörte Glas splittern und immer wieder war aufflackerndes Feuer zu sehen. Charlie rannte hinter einer Gruppe her, die Fensterscheiben eintrat und Sprüche sprühte. Ich blieb bei Charlie. Ich zitterte am ganzen Körper, aber nicht aus Angst. Es war das Aufregendste, was ich je erlebt habe. Ich wollte nicht, dass es aufhörte. Ich konnte es nicht erwarten, es wieder zu tun.
    So habe ich Theo kennengelernt. Wir fuhren mit ihnen in ihrem alten zerbeulten Lieferwagen zurück in das Dean Street-Kollektiv. Wenn das ein Tag für neue Dinge, neue Erfahrungen war, dann war Dean Street eine neue Offenbarung. Sie redeten nicht einfach nur
über den Tag und was sie gemacht hatten. Sie redeten darüber, was dieser Tag bedeutete. Sie sind Aktivisten. Anarchisten der Piratenflagge, Antikapitalisten, total engagiert darin, die Gesellschaft auf jede notwendige Weise zu verändern, etwas gegen einen gewalttätigen und unterdrückenden Staat zu unternehmen.
    Ich dachte an die Polizisten mit ihren Pferden und Knüppeln, wie sie die Menge angriffen, die Leute zurückprügelten und echten Schaden anrichteten. Ich erkannte die Wahrheit in dem, was sie sagten. Ich wusste, dass sie recht hatten.
    Alles, was ich wusste, alles, was ich dachte, alles, was ich gemacht hatte, mein ganzes Leben bis zu diesem Moment schien plötzlich belanglos und oberflächlich zu sein.
    Von der Schule suspendiert zu sein, ist wie eine große Auszeichnung. Es bedeutete, dass ich mehr Zeit im Haus in der Dean Street verbringen konnte. Es gehört zu einer heruntergekommenen Häuserzeile im Süden der Stadt. Es ist immer kalt und riecht nach Feuchtigkeit. Überall liegen alte Matratzen herum, und die meisten Möbel stammen vom Sperrmüll. Die Wände sind rot, schwarz und lila gestrichen und mit Sprüchen und Agitpropmalerei bedeckt. Leute aus Frankreich, Deutschland und sonst woher tauchen in dem Haus auf, bleiben ein paar Tage und werden dann von anderen ersetzt. Immer sind Leute da. Immer ist was los, werden Ideen diskutiert, Musik gemacht, Aktionen geplant.
    Ich war Theos Lieblingsprojekt. Ihm gefiel es, dass ich noch zur Schule ging. Ein junger Geist ist am leistungsstärksten, noch nicht von Kompromissen verdorben. Theo ist älter als die anderen, sogar älter als Charlie. Wenn sie einen Anführer hätten, wäre er es. Er hat irgendwie Charisma, und sie hören alle auf ihn. Er sagt, dass wir
das Krebsstadium des Kapitalismus erreicht hätten. Die ganze Welt ist in Bewegung, in jedem Land gehen die Leute auf die Straße und kämpfen für das, woran sie glauben. Friedlicher Protest reicht nicht. Gewalt ist ein von Natur aus dazugehörender und berechtigter Teil des politischen Kampfs. Wenn jemand ein Auto anzündet, ist das eine kriminelle Handlung. Wenn jemand hundert Autos anzündet, ist das eine

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