Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
du nicht doch ein Bier willst?«
»Nein, wirklich nicht.«
»Wie du willst.«
Rob geht zum Kühlschrank und nimmt sich noch eine Dose. Er wirkt verletzlich in seinen Boxershorts, die seine Nacktheit brutal betonen. Er hat eine Unmenge Tätowierungen, von nicht entzifferbaren Schnörkeln bis zu Regimentsabzeichen und zu komplizierteren Mustern – alle nicht fertiggestellt. Als ob ihm mittendrin langweilig geworden wäre oder er es sich anders überlegt hätte und die Werkstatt des Tätowierers vorzeitig verlassen hätte.
Doch es ist nicht die Bildergalerie auf seinen Armen und der Brust, die den Blick auf sich zieht. Sein rechtes Bein ist ein bisschen kürzer als das linke. In den Schuhen trägt er Einlagen, sodass man es normalerweise gar nicht wahrnimmt, doch wenn er barfuß ist, bemerkt man es. Er läuft etwas breitbeinig, dasHinken tritt deutlich hervor. Rob geht zurück zum Tisch, zündet sich eine Zigarette an und streckt das rechte Bein aus. Es tut immer noch weh, schmerzt die ganze Zeit. Die gekreuzten Gewehre, das Abzeichen der Scharfschützen, trägt er oben am Oberschenkel. Darunter sind die Narben in silbrig weißen Linien zu sehen, auf und ab, wie Reißverschlüsse. Die Muskeln sind verdreht, verknotet und narbig, wo die Nadeln eingestochen wurden. Die Haut ist faltig und geflickt, wo Teile transplantiert worden sind. Ich habe ihn vor Enttäuschung toben und weinen sehen, aber während der ganzen monatelangen Behandlung hat er sich niemals wegen der Schmerzen beschwert. Er hat sie einfach ertragen. Er ist ohne Zweifel sehr tapfer. Aber das andere, was er eigentlich tun will, jedoch nicht kann, niemals mehr tun können wird, das wird ihm jetzt erst bewusst. Ich möchte helfen, doch es gibt nichts zu helfen.
Ich weiß nicht, was ich für ihn tun kann oder gegen die in mir aufsteigende Traurigkeit, und so sage ich einfach: »Bis dann«, und gehe durch den Flur, vorbei an Großvaters Fotos aus vergangenen Kriegen. An ihm und seinen Kumpeln, die auf Panzern und gepanzerten Fahrzeugen sitzen, in die Kamera grinsen, die Arme umeinander gelegt, Zigaretten lässig zwischen den Lippen. Die Fotos sind vergibt; alle jungen Männer, die auf ihnen zu sehen sind, sind mittlerweile alt, vertrottelt oder tot.
»Ja, wir sehen uns, Bruder.«
Als ich gehe, starrt er auf den Laptop, trinkt aus der Bierdose und bewegt die andere Hand, um damit das Bild wieder aufzurufen. Er wirkt so schutzlos. Einsam. Sein Leben ist beschissen, und er findet keinen Ausweg, lebt im Haus eines alten Manns, umgeben von den Sachen des alten Manns, steckt in einer Sackgasse.An das zivile Leben hat er sich nicht richtig angepasst. Er hat sich überhaupt nicht angepasst. Er geht nicht mehr zur Therapie. Er weigert sich, irgendwelche Rehabilitationsprogramme zu nutzen. »Viele von den Jungs sind viel schlechter dran als ich«, das ist alles, was er dazu sagt.
Er verbringt seine Zeit damit, sich auf dem Laptop Seiten mit Waffen anzusehen, wünscht sich sein altes Leben zurück, will durch ein Schmidt & Bender-Zielfernrohr die Bösen aufs Korn nehmen, die Taliban ins Visier kriegen. Glücklich ist er nur dann, wenn er mit seinen Kumpels rumhängen kann, doch es besteht eine Kluft zwischen ihnen und ihm. Bald brechen sie wieder auf, kehren zurück zu einem Leben, das er nicht mehr mit ihnen führen kann.
Ich wende mich schnell ab. Ich will nicht, dass er mitkriegt, wie ich ihn beobachte. Es kommt mir wie Ausspähen vor. Er würde nicht wollen, dass ich ihn so sehe. Vom Ende des Flurs aus betrachtet ist er nur noch eine dunkle Gestalt, bewegungslos vor dem kräftigen Sonnenlicht dasitzend, abgehoben wie ein Mann auf einer Fotografie. Sein Gesicht ist mir so vertraut wie mein eigenes im Spiegel, doch er sieht aus wie jemand, den ich nicht mehr kenne.
12
Jimbo war gerade da und hat mal kurz gepeilt, was ich gerade mache – macht man doch, wenn jemand seinen Laptop offen vor sich hat. Geht nicht anders, ist die menschliche Natur. Er hat gedacht, ich gucke einen Porno. Das ist es doch, was Soldaten machen, stimmt’s?
Doch so was hab ich mir nicht angesehen. Ich hab mir das Barrett angesehen. Ich stelle mir vor, wie es ist, mit ihm umzugehen – auf einem Bergrücken etwas anzuvisieren, eine Meile oder mehr entfernt zwischen Felsen, Sand und kleinen struppigen Bäumen, von Staub bedeckt, alles ist milchig braun oder unterschiedlich grau, und der Wind bläst einem den Sand in Mund und Augen. Immer weht der Wind – manchmal stark, manchmal mild
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