Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
Jedenfalls sagt er das, doch so, wie er guckt, ist mir klar, dass mehr dahintersteckt. Trotzdem gehe ich mit. Er hat eine neue Wohnung. Der Dachboden eines umgebauten Getreidespeichers.
Er zeigt mir das Atelier und die Arbeiten, an denen er sitzt. Es ist alles sehr politisch. Fotos von Demonstrationen in London verbunden mit Bildern aus anderen Ländern, ausgebrannte Panzer und Gebäude, Autobomben aus dem Irak und aus Afghanistan. Die palästinensische Flagge, der Davidstern und die U S-Fahne miteinander vermischt, zerrissen, geschwärzt und versengt. Eine riesige Leinwand zeigt Soldaten mit ausgelöschten Gesichtern, die in eine rötliche Landschaft bluten, umgeben von Szenen des Verfalls und der Verwüstung. Bei näherem Hinsehen ist eine Reihe von ausgebrannten Nobelläden zu erkennen, englische Felder sind in kahles Niemandsland verwandelt, ein toter, verödeter Boden durchzogen von schwarz sickerndem Öl.
»Das ist Öl. Verstehst du?«
»Ja. Hab ich kapiert.« Ich nicke langsam, gehe auf die Leinwand zu und trete wieder zurück – auf angemessen bewundernde Weise. »Sehr beeindruckend.«
Er grinst, die Arme verschränkt. Ihm gefällt, welche Wirkung seine Arbeit hat, meine Reaktion.
»Ich möchte zeigen, was in der Welt passiert und was hier passiert.
Verschmelze beides miteinander. Führe es den Menschen bildlich vor Augen, was wir in Afghanistan machen, im Irak, Gaza – die Intifada –, die Zerstörung und die Gewalt, die wir verursachen.«
Das waren genügend einleitende Maßnahmen. Er gießt Wein ein und wir nehmen ihn mit ins Schlafzimmer. Vielleicht ist er zu betrunken, jedenfalls braucht er sehr lange. Meine Gedanken driften ab und ich denke an mein Treffen mit dem Typen von Armani. Ich erzähle ihm, dass ich Politik studieren will. Nicht hier, irgendwo im Ausland. Ich habe mich für Geschichte, Wirtschaftswissenschaften, Französisch und Deutsch entschieden.
»Kannst du das in einem Jahr schaffen?«, erkundigt er sich mit zweifelndem Blick, die Finger nach oben aneinandergelegt, den Kopf leicht zur Seite geneigt. »Deine früheren Fächer waren Kunst, Englisch und Schauspiel.«
»Natürlich kann ich das«, antworte ich und erzähle ihm genau, warum. Er tippt ein paar Notizen in seinen Mac, aber er hört nicht richtig zu. Dann lehnt er sich zurück, die manikürten Finger wieder nach oben aneinandergelegt.
»Deine Entscheidung für uns war eine kluge Wahl. Wir haben jetzt den Status einer Akademie und in Kürze ein ausgezeichnetes Oberstufen-College und ein Community College. Die besten in der Region. Ich mache mit dir einen virtuellen Rundgang durch den Komplex … «
Er dreht den Mac rum und startet ein Werbevideo. Die virtuelle Tour schwenkt nach rechts auf die neuen Akademiegebäude, nur dunkel getöntes Glas und hölzerne Fassadenverkleidung. Das Oberstufen-College steht rechts vom Fahrweg, sodass die Schule dann fast bis zur Hauptstraße geht. Die Schule selbst liegt auf einer Anhöhe. Zu dem prachtvollen Haupteingang, alles Glas und Chrom, führt
eine Treppe hoch (daneben eine Rampe, die nach oben führt). Eindrucksvoll. Über seine Schulter und durch das Fenster wirkt alles mehr wie eine Baustelle. Er sieht meinen Blick.
»Bis zum Ende der Sommerferien ist alles fertig«, sagt er beruhigend. »Bereit für die Eröffnungsfeierlichkeiten zu Beginn des Schuljahrs. Wir erwarten einen sehr bedeutenden Gast … «
Er nennt einen Namen und lehnt sich mit selbstzufriedenem Gesicht in seinem Sessel zurück, als sollte ich jetzt beeindruckt sein. Dafür reicht es nicht ganz, denke ich mit einem Lächeln. Ich kann die Sprechchöre wie einen Refrain im Kopf hören:
Schämt euch, schämt euch, Lügner, Lügner, raus, raus, raus …
Und da habe ich die Idee.
Es ist wie eine Vision, wunderbar klar. Sie ist ein Geschenk. Ich spiele sie im Kopf durch und möchte laut auflachen.
Eine Fantasie? Vielleicht. Aber ich weiß einen Weg, sie Wirklichkeit werden zu lassen.
Gleich danach schläft Charlie immer tief ein, und ich bin vom Schlaf so weit entfernt, wie das ohne chemische Unterstützung nur möglich ist. Ich schlafe nie mit einem anderen in einem Bett, das ist für mich ein zu hohes Maß an Intimität. Deshalb lasse ich ihn allein und gehe durch die Stadt zurück. Es ist nach Mitternacht. Ich mag diese Zeit. Ich mag das Gefühl von Verschiebung. Den Unterschied zwischen helllichtem Tag und jetzt.
Die Verkehrsampel wechselt von Rot über Gelb zu Grün und wieder zurück, doch
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