Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
gegeben.
Kinder brauchen Helden. Besonders die, die ohne einen Dad aufwachsen. Vielleicht hab ich auch einen Helden gewollt.
Im wirklichen Leben war er nicht so.
In Wahrheit konnte er ein richtiger Scheißkerl sein. Im einen Moment noch völlig in Ordnung, und im nächsten ist er dir an die Gurgel gegangen. Jähzorn.
Wenn er nach Hause kam – das war wie Weihnachten und Geburtstag zusammen – Geschenke und all so was. Alles gut. Aber nach einer Weile ist er nervös geworden – rastlos –, dann hat er zu saufen angefangen. Wenn Ma was gesagt hat, hat er ihr eine gescheuert, ist gegangen und stundenlang nicht zurückgekommen – manchmal tagelang.
Einmal hat er mir einen Buzz Lightyear als Spielfigur geschenkt – zwei Tage später hat er ihn kaputt getrampelt. Der Krach ist ihm auf die Nerven gegangen. Ich? Buzz? Hätte jeder von uns sein können. Er hat mir einen neuen gekauft, war aber nicht dasselbe. Du hast nie gewusst, woran du bei ihm warst. Ich hab gelernt, darauf zu warten, dass die Sonne rauskommt, und ich hab gelernt, ihm aus dem Weg zu gehen.
Heute weiß ich, was mit ihm war. Er wollte gar nicht brutal sein. Er konnte nur nicht anders. Das hab ich bei anderen Jungs gesehen – auch bei mir selbst.
Mum hat uns erzählt, Dads Tod wäre ein Unfall gewesen. Umgekommenbei einer Übung mit scharfer Munition. An die Geschichte hat sie sich immer geklammert. In Wahrheit hat er sich selbst umgebracht. Großvater hat mir das erzählt, als er einen Whisky zu viel hatte und er nicht mehr so ganz klar getickt hat.
Das lief so ab:
Er: Du bist ihm ähnlich.
Ich: Ach, ihm – wer ist das?
Er: Dein Dad.
Dann nichts mehr. Hat keinen Sinn, ihn zu drängen. Du musst ihn einfach laufen lassen und dem folgen, was in seinem Kopf abläuft.
Er: Er war ein Scheißkerl. Hat deine Mum wie Dreck behandelt. Nach dem Einsatz in Suez ist es schlimmer geworden.
Ich: Er war nicht in Suez, Großvater.
Er: Irgendwo da draußen war er.
Ich: Das war der Golfkrieg.
Er: Kommt doch aufs Gleiche raus, oder?
Ich: Er hat das Golfkriegssyndrom gehabt.
Er: Syndrom, so ein Quatsch. Wir haben viel Schlimmeres gesehen als diese Kerle und haben uns nicht so benommen.
Ich: Könnte eine posttraumatische Belastungsstörung gewesen sein. Das ist das, was ich haben soll, wie sie sagen.
Er: Ja schon, aber du bist bei ein paar richtigen Kämpfen dabei gewesen und hast nicht in Deutschland oder Nordirland rumgehangen.
Ich: Nordirland war kein Picknick.
Er: Vielleicht, als ich mit den Fallschirmjägern da war – aber die haben nur den Frieden gesichert – nie was getan. Er war ein Feigling, Junge. Hat den Abgang der Feiglinge gemacht.
Ich: Was meinst du damit? Er ist bei einem Unfall umgekommen.
Er: Unfall mit scharfer Munition. Das sagen sie immer, um es zu vertuschen. Er hat sich schlicht und ergreifend selbst umgebracht. Ich geh ins Bett.
Kämpfen – Töten – Schaden anrichten. Großvater sagt, das ist der Abgang der Feiglinge, aber ich bin anderer Meinung. Ich wette sogar, er hat auch schon darüber nachgedacht. Ich war in Versuchung, und ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin.
Mit dem Lauf einer Kanone im Mund gibt es kein Missverständnis. Das ist kein Hilferuf – nur eine Schweinerei für den, der das sauber machen muss.
Keiner kommt ohne Knacks da raus – ich nicht – Dad nicht – Großvater nicht. Da kann er sagen, was er will. Ausdrücke wie Syndrom oder Belastungsstörung benutzt er nicht, aber das sind nur Namen für etwas, über das er lieber nicht spricht. Ich wette, er hat Oma manchmal das Leben ganz schön schwer gemacht. Er hatte seine düsteren Stimmungen. Dann mussten alle um ihn herum auf Zehenspitzen laufen – hat mir Mum erzählt. Er war immer lieber bei seinen Kumpels. Er hat immer einen Drink oder drei gemocht. Manchmal sind dir sogar deine Kumpel zu viel und du möchtest für dich sein. Er kennt das – warum sonst hätte er so viel Zeit im Schrebergarten und beim Angeln zugebracht?
Der Tod ist das Ende der Fahnenstange – der ultimative Ort, an dem du alleine sein kannst. Vielleicht ist es das, was Dad sich überlegt hat – es war der einzige Ort, wo er noch hingehen konnte.
Jamie weiß immer noch nicht, was mit Dad wirklich passiert ist. Ich hab ihr gesagt, sie soll es ihm nicht erzählen.
Wir haben die ganze Nacht gesprochen. Auf ihre Art ist sie genauso beschissen dran wie ich. Ich hab ihr Dinge erzählt, die ich noch nie jemand erzählt hab. Ich hab mich noch nie jemand so nahe
Weitere Kostenlose Bücher