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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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Jetzt, ja jetzt hätte man mit mir über Van Morrison sprechen können.
    April
    Nein, normale Plattenläden gibt es in unserem Stadtteil eigentlich nicht mehr. Den Kumpels fiel auch keiner ein. Wir saßen vor unserem Espressoausschank, der Tag drohte eh grad völlig zu zerfasern, also bestellten wir gleich noch eine Runde Kaffee. Den Hippieladen gibt es, das Kulturkaufhaus, die Elektronikmärkte. Aber sonst? Also: offline, in unserer echten kleinen Welt? Nur diese absolut lächerlichen Konzeptboutiquen, deren Sortiment aus Kleidung und Kulturgütern den Begriff Auswahl umkehrt, hier wählt nicht der Kunde aus, es ist für ihn schon alles ausgewählt, von allem nur ein bisschen, und wer von jedem etwas kauft, ist dann der Superhipster, also der komplette Blödian. Wer halbwegs alle beisammen hat, will in solch einen Laden eigentlich allenfalls mal aus Spaß reinstürmen und fragen, ob sie die neue Platte von Silbermond und Puma-Turnschuhe haben – dann die angeekelten, belehrenden Gesichter des Superstylerpersonals genießen.
    Gerade als wir zurück an unsere Arbeitsplätze hüpfen wollten, mal gucken, ob die noch da sind, erklang schräg hinter uns eine Stimme, deren Besitzer jedermann nach zwei Wörtern unbesehen empfehlen musste, entweder sofort zum HNO-Arzt zu gehen oder Rockstar zu werden: »Hey, na? Wie geht’s denn?« Lederkappe, Paartagebart, Sonnenbrille, die setzte er jetzt ab – ach so! Plewka, altes Haus! Ganz schön lange nicht gesehen. »Vor Kurzem habe ich an dich gedacht« – wie oft ist das eine Verlegenheitsformel, aber jetzt stimmte es mal, und zum Glück hatte ich Jan Plewka bei diesem An-ihn-Denken eine SMS geschrieben, wie gut nämlich die neue Selig-Single mir gefällt. Seine Antwort war ein paar Tage darauf in tiefer Nacht eingegangen und lautete: »Yea!!!«
    Und weiter mit den schönen Wahrheiten: »Ich gehe mir jetzt euer Album kaufen!« Plewka hatte sich seinen Kaffee in einen Mitnehmbecher gießen lassen, aber nun wurde daraus einer zum Hiertrinken. Plewka: ein deutscher Rockstar. Der kann das. Kann so singen, so texten, soaussehen. Der schmeißt sich derart rein, macht nicht auf superclever, genehmigt sich diesen Schuss Dummheit, den es braucht. Plewka zu treffen ist immer auch eine Ermutigung, voll auf die sogenannte Zwölf zu gehen, also in den neueröffneten weltgrößten Saturn-Markt am Alexanderplatz, wo man die Menschen zu guten Amerikanern erzieht: Null-Prozent-Finanzierung! Dann mal her mit der Flachbildscheiße.
    »Und endlich unendlich« von Selig also, ja, Plewka hat endlich wieder was zu erzählen, die Auszeit hat seinen Tornister gefüllt mit Erfahrungen: »Jetzt hängst du rum mit deinen nutzlosen Freunden / in geometrischen Gärten auf unaufgeräumtem Glück / Rennst seit Jahren durch die gnadenlose Gegend / und trinkst dir in den Nächten die alte Zeit zurück.« Prost, Plewka, gut gemacht.
    Paar Zentimeter weiter lauert in Stapeln der Feind: Roger Cicero. Bürschchen, warum bloß machst du mich so aggressiv? Ist doch supersüß, wie du da mit Dödelhut und rotem Anzug einen Hahn im Arm hältst? Aber dein Swing klingt, als wüsstest du stets, wo dein Impfpass ist. Aus demselben Ei gepellt wie E. v. Hirschhausen – im Frühstücksfernsehen möchte ich dich untergehen sehen. Vom Sonderangebotstisch zwei alte CDs von Manfred Krug dagegen kaufen. Die mal gehört, Blödroger? Wie Krug das so sieht und besingt, auch das mit den Frauen? »Sie sieht mich gar nicht an / Sie liest ein Buch, es ist ein Liebesroman.« Willst du da nicht nach einer Strophe schon in die Ecke, dich was schämen?
    Die CDs piepen über den Scanner, da fragt die Kassiererin: »Sagen Sie mir bitte Ihre Postleitzahl?« Nee, Herzchen, aber ich gucke gleich mal in die Datenpannen-Mülltonne ums Eck und sage dir dann, wann du warum beim Arzt warst, ja?
    Und raus, Sonnenbrille auf, Plewka wohnt jetzt ums Eck, hat dieselbe Postleitzahl wie ich, das ist doch schon mal was.
    Mai
    »Adorno oder Adoro?«, hatte Fahrensmann Willander am Vormittag seine heutige Frage an die Welt formuliert, als wir uns, wie an jedem Werktag, über die Höhepunkte des Frühstücksfernsehens austauschten. Auf Adornos Evergreen »…umso schlimmer für die Realität!« herumkauend, war ich dann zum »Kulturkaufhaus« gelatscht. Als ich hernach den Inhalt meiner Einkaufstüte auf dem Tisch des Caféhauses ausbreitete, um die neuen CDs meinem Kumpel Moritz vorzuführen, da winkte, in die Eisheiligensonne blinzelnd, der Medienpsychologe

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