Auch Deutsche unter den Opfern
lindern. Der Gigolo-Hit »Call me« ist nicht drauf, dafür »From here to eternity«, die Richtung stimmt. Ein Disco-Einkauf also, ist schließlich Samstagabend. Huch, eine Sparks-Platte von 2008? Das Cover zeigt einen am Klavier sitzenden Affen. Der aus Ronny’s Pop Show ? Der aus der Trigema-Werbung? Unser Charly? Der Affe singt, trägt ein Smokinghemd. Da muss doch Hannes Jaenicke eingreifen! Wer Affen zu sehr liebt, hat was gegen Menschen. Dieses Gedicht von Heiner Müller, »Herr Dschu und seine Affen«, wie ging das noch mal? Überhaupt, Heiner Müller. Keine Gitarren-Platte gefunden heute, also als Rock-Gegengewicht den dritten Gesprächsband der damit abgeschlossenen Müller-Gesamtausgabe mitnehmen. Knapp 1000 Seiten härtester Hardrock.
Müller: »Und dann sagte der Alkoholiker: Scheiß Paris!«
Dazu Giorgio Moroder, und die Nacht ist dein Freund.
Februar
Gerade hatte der niedersächsische Ministerpräsident gefragt, in welchem Berlinale-Film ich denn mitspiele; wir standen auf einer Filmfestspielparty, die Damen anderweitig im Gespräch, es war also klar, wir brauchten jetzt ein handfestes Thema. Konzentrieren: Wulff, Wulff, Wulff – genau! Osnabrück, Heinz Rudolf Kunze, ja, so würde es gehen.
Wählt eigentlich Heinz Rudolf Kunze mittlerweile CDU, fragte ich den Ministerpräsidenten (man könnte sagen: unvermittelt), und der gab Auskunft, dass Kunze ihn bei den Landtagswahlen unterstützt und demzufolge wohl auch gewählt habe; bei Bundestagswahlen splitte Kunze seine Stimmen möglicherweise, vielleicht Zweitstimme FDP, das machten ja viele Künstler. Schweigen. Heinz hat einen langen Weg hinter sich, sagte Wulff dann.
Tags drauf im Obergeschoss des Elektronikkaufhauses, bei den Platten: »Protest« von Heinz Rudolf Kunze. Für Menschen, die einige frühe Piano-Weltanklagen Kunzes für immer im Herzen tragen: eine grauenhafte Platte. Auf dem Kirchentag singen, das schafft die Besten. Lederjacke tragen, na gut, wenn es sein muss. Aber nicht so klingen, bitte. »Junge Musiker«, die mit teuren, gut gestimmten Gitarren da rumroutinieren; Texte: als sei nie was gewesen. Es ist billig und öde, die Rüge eines Spätwerks mit dem Verweis auf frühe Glanztaten eines Künstlers zu umfloren, muss aber sein, wenn sich an die kaum mehr jemand erinnert. Wie Kunze mal schreiben und singen konnte, als er ganzen Milieus und Dekaden mit einer Zeile die Luft rausließ: »Wir wählen selbstverständlich weiter SPD.« Notwehr in alle Richtungen, seine Platten hießen nicht, sie waren Protest. Der damalige Kunze hätte den Wahlzettel angezündet.
Am Probehörterminal wird das Display nun aufdringlich: »Das könnte Ihnen auch gefallen: Glasvegas«. Nee, Schatz, wirklich nicht, bist aber nicht der Erste, der das denkt – etwa viermal pro Woche empfiehlt mirjemand Glasvegas. Offenbar wirke ich wie jemand, der Glasvegas super finden muss. Ich kapiere aber die ganze Glasvegas-Aufregung nicht, kaum eine langweiligere Platte gehört in den letzten Monaten.
Jetzt noch ein prinzipieller Kauf: Soundtrack von Woody Allens »Vicky Cristina Barcelona«. Schauderhaftes Spaniengitarrengezupfe, egal – Fan-Kauf. Es gilt die alte, auch umgekehrt anwendbare Regel: Die größten Filme haben die grässlichsten Soundtracks.
Ministerpräsident Wulff hatte mich noch auf einen interessanten Seitenaspekt der Weltwirtschaftskrise aufmerksam gemacht: Cocooning. Umsatzplus bei Möbeln, Papierservietten und Bahlsen-Gebäck! Bei Platten nicht, die arme Musikindustrie schnürt würdelose Rettungspakete: Kaum eine neue Platte kann man noch zugabenlos bekommen, eine Bonus-DVD ist mittlerweile Standard; allein, wer soll sich all diese Dokumentationen aus Aufnahmestudios und Tourbussen bloß jemals anschauen? Die Kapitulation vor Raubkopisten: »Deluxe-Editionen«. Mit exklusivem Girlie-Shirt! Mit streng limitiertem Tank Top! Sagt ein Musikdieb zum anderen: Ich brauche ein neues T-Shirt. Darauf der andere: Dann kauf dir doch eine CD. Super Fan-Package: Stofftasche & Souvenir-Teddy! Ich hätte das alles gerne nicht. Von »Vicky Cristina Barcelona« gibt es so was ja ohnehin nicht.
Zum Trost nun endlich auch als CD-Maxi das Lied, mit dem jeder Berlinale-Abend von allen Seiten beschrieben ist: »I’m in love with a german film star«, 1981 ein kleiner Hit der Band The Passions, heuer wiederauferstanden, glorios erneuert von Sam Taylor-Wood und den Pet Shop Boys. Sam Taylor-Wood, ist das nicht diese Foto&Video-Künstlerin? Doch, doch.
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