Auch Deutsche unter den Opfern
daran erinnert, dass man in der Summe doch zu wenig Zeit in leopardengemusterten Badehosen verbringt. Vielleicht einfach mal wieder die Haare blond färben und über einen Ohrring nachdenken? Und das alles dann bleiben lassen, Rod hören, der macht das für uns. Das ganze Leben ein einziger Stehplatz im Stadion und an der Theke. Und wer ist die Kleine dahinten? Schwer zu sehen durch die Sonnenbrille, aber sicherheitshalber mal rüberpfeifen.
Aus den HMV-Lautsprechern quält jetzt – ja, wer ist das? Hat Herbert Grönemeyer es endlich auch hier, an seinem Erstwohnsitz, geschafft? Das ist Grönemeyer, kein Zweifel, Grönemeyer auf Englisch.Grauenhaftes Gedröhne. Mal zum Informationspult gehen, was hören wir da Schönes? »Radio Nowhere« von Bruce Springsteen. Im von mir allein bewohnten Drei-Generationen-Haus hört leider niemand Bruce Springsteen, den lassen wir hier.
August
Nein, keine Musik dabei. Das war die erste Freude, frühmorgens im Stinketaxi, auf dem Weg zum entlegensten aller Berliner Flughäfen, wo weitere Erniedrigungen auf uns warteten, Billigflug, »freie Platzwahl« genannter Vordrängeldarwinismus und ein kostenpflichtiges Ekelsandwich. Nein, keine Musik dabei – du auch nicht? Ich auch nicht. Schlag ein! Das gleiche gedacht, ohne es vorher thematisiert zu haben – that’s Freundschaft.
Wir kamen uns sehr schlau vor: Wer Musik mitnimmt, kann doch gleich zuhause bleiben. Viel schöner ist es, die vor Ort vorhandene Musik als Vorgabe zu akzeptieren und mal zu sehen, wie weit man damit kommt. Vielleicht lernt man dadurch was Neues kennen (oder was Altes neu zu bewerten). In dieser Hinsicht keine Verantwortung für die Stimmung übernehmen, nicht gebieterisch an der Soundkanzel stehen, das müsst ihr hören, jetzt mal alle tanzen, bitte. Nein, nein. Wir würden zu der am Zielort vorrätigen Musik tanzen, Geschirr spülen, in den Pool springen oder den Hund ums Haus jagen. Wer Musik mitnimmt, will nichts erleben, iPod oder CD-Stecktasche im Gepäck sind nicht weniger lachhaft als Würfelbecher oder Reiseschachbrett.
Unausgerüstet weltoffen also machten wir uns auf den Weg nach Nizza, um dort – wie schon im letzten Jahr – den Geburtstag von Kumpel Moritz zu feiern, einfach auch, weil es so viel Spaß macht, einen der verbotensten Idiotensätze überhaupt zu sagen: »Freunde von uns haben da ein Haus.« Ist nämlich so. Und unser Superfreund Kämmerling bot uns im Abholauto gleich Gelegenheit, unsere Musikgelassenheit zu testen: Eine CD nur, und zwar eine groteske spanische Sonderedition mit Hits von Michael Jackson, viel erklärendes Gelaber zwischen denLiedern, einige davon auf Spanisch eingesungen. Muss man sich so vorstellen wie betrunken Fußball gucken, und man denkt die ganze Zeit, irgendwas stimmt da nicht, bis man viel zu spät merkt, ah, Frauenfußball, ach so. Egal, Fenster auf, es riecht nach Asphalt und Bäumen – Urlaub!
Nachts tatsächlich über den Dächern von – ja ja. Da standen wir also herum, Freunde von uns haben hier ein Haus, hoho, Prost! Da drüben wohnt Elton John! Dann passierte etwas Furchtbares: Jemand legte Fleetwood Mac auf. Mein bislang einziges Fleetwood-Mac-Erlebnis fand einst auf dem Schulhof statt, ich sah, wie ein trotteliger Junge und ein in Physik gutes Mädchen sich gegenseitig CDs liehen, er gab ihr eine von den Fine Young Cannibals, sie ihm eine von Fleetwood Mac, grün war die. Seither weiß ich, es geht gut ohne Fleetwood Mac. Aber nun auf dieser schönen Nizza-Terrasse sollte es plötzlich mit Fleetwood Mac gehen, und ich musste mich belehren lassen, nee, reg dich mal ab, die sind schon riesig, Fleetwood Mac. Ich schnitt mir noch ein Stück Geburtstagskuchen ab und sah unsere schöne Theorie der Musikgelassenheit implodieren, schwieg aber zunächst. Bei »Go your own way« allerdings musste ich dann doch einschreiten. Nein, Verzeihung Freunde, das ist wirklich Menopausensound. Und »Don’t stop« genauso, auch wenn es zehnmal ein Obama-Kampagnen-Lied war – für ihn spricht, dass er trotzdem gewonnen hat, Schluss jetzt. Also doch kurz das Musikkommando übernehmen, ein neues Lied von Simian Mobile Disco auf einer der französischen Musikzeitschrift »Trax« beigeklebten CD erlöste uns; solch ein Club-Wums kann ja Leben retten, das ist wie Lüften. Alles war wieder in Ordnung, die Terrasse bebte, unten in der Bucht wurde plötzlich ein Feuerwerk gezündet, und dann stand ein nur mit Turnhose bekleideter Russe am Gartentor und meldete, wir
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