Auch Deutsche unter den Opfern
jeden Tag mehrmals: »Schwarz zu Blau« von Peter Fox. Und davon eigentlich auch immer am liebsten nur diese Stelle: »Frust kommt auf, denn der Bus kommt nicht«. Bringt mich irgendwie sofort gut drauf, diese Zeile.
Alle anderen Platten machen mich traurig derzeit, was ist denn überhaupt los, Wetterumschwung, keine Ahnung. Immer wieder: »Frust kommt auf, denn der Bus kommt nicht«. Und noch mal. Nein, ich will keine neuen Platten haben. Na, einen Versuch noch, im Elektronikkaufhaus, und wenn da nix geht, rufe ich meinen Therapeuten an und sage ihm, wir müssen den nächsten Termin vorziehen.
Also, was haben wir da: Rod Stewart, Eros Ramazzotti, diese beiden gloriosen Schwerenöter. Und? Nein. Heute nicht.
Da, die Rettung: Die Sterne, »Wichtig + Fickt das System EP«. Wie, was, 4,99? So, keine halben Sachen, sechs Stück davon und das war’s, das wird auf dem Bon sehr gut aussehen:
Fickt das System
Fickt das System
Fickt das System
und so weiter, damit – und mit dieser Platte sowieso – kann man doch dieser Tage wirklich jedem eine Freude machen, sogar AC/DC-Minister Guttenberg, denn Spilker singt ja: »Keine Parolen keine blöden wie die: Fickt das System«. Kann man so und so interpretieren. Wer diese Sterne-Platte noch nicht besitzt und jetzt zum ersten Mal hört, der springt doch sofort einen halben Meter größer durchs Leben. »Fick das System« steht auf dem Bon, sechsmal, sehr schön, aber ohne »t« leider. Entschuldigung, das muss doch »Fickt« heißen und nicht »Fick«, sagte ich zur Kassiererin, und da rief die nach dem Filialleiter und ich sah zu, dass ich nachhause kam, Die Sterne aufdrehen. Frust weg, Bus kommt – auf nach London, zum HMV-Laden.
Juli
Es ist das gute Recht der Geliebten, sich zu verändern, wenn man sie ein paar Jahre vernachlässigt und aus der Ferne logischerweise verklärt hat – doch was London, mein Darling London, mittlerweile an großen Plattenglücksläden zu bieten hat, ist doch bisschen dünn: kein Tower Records mehr, kein Virgin Megastore mehr. HMV gibt es noch, immerhin, immer hin.
Vorgestern Abend, noch in Berlin, standen wir endlich mal wieder vor der »Paris Bar«, an Kippenbergers Schlenkerlaterne, und sangen ein Loblied der Kantstraße. Als ich gerade aus Versehen etwas sehr Langweiliges in die Nacht gelabert hatte, sagte Kumpel Ulf: »Tja, wie auch immer. Ich höre sowieso nur noch Dizzee Rascal.« Straßenverkehrsteilnehmer nennen ein solches Manöver U-Turn, und auch als rhetorische Figur ist es von hohem Wert. Schon vor ein paar Jahren, als wir einen Sommer lang besonders oft gemeinsam durch Berlin gefahren waren, nur scheinbar ziellos, hatte Ulf – dahingehend ein perfekter Fahrer, dass er Tempo, Umgebung und Musikauswahl als Gesamtchoreographie komponiert – ebenjenen Dizzee Rascal immer besonders laut gedreht, und jetzt endlich kaufe ich also meine erste Dizzee-Rascal-Platte, »Bonkers«, die Co-Produktion mit ArmandVan Helden. Ein absoluter Wegräumer für diesen Sommer: Dreh das auf, mach die Augen zu – und egal, wo du gerade bist, du sitzt augenblicklich im Cabrio und fährst mit 7 km/h die Kantstraße runter. Und wieder rauf.
Nach zehnmaligem »Bonkers«-Hören dann ruhig mal kurz wechseln, jetzt sollte es eine Fatboy-Slim-Mix-CD sein, »Dance Bitch« bietet sich an, lenk den Wagen hurtig in Richtung eines Sees, dicht am Wasser parken, es dämmert schon – und jetzt das Fernlicht einschalten. Siehst du am Horizont die hunderttausend tanzschweißnassen Gesichter toben? Nein? Dann musst du lauter drehen.
Wenn man nun statt am See aber im HMV steht, vor einem Regal mit lauter Platten, die man so sehr mag, dass man sie glatt ein zweites Mal kaufen würde, und zu spät das Schild über dem Regal entdeckt, das auf den englischen »Father’s day« hinweist, muss man dennoch nicht gleich an die nächste Prostatauntersuchung denken. Aber man kommt ins Grübeln. Ein Sampler mit dem Titel »My Dad Rocks!!!«, und es sind ausschließlich Lieblingslieder von mir darauf, einziges Problem: Ich habe kein Kind. Und wenn ich andererseits sehe, was mein Musikgeschmack mir hier sonst so in den Korb gepackt hat, Girls Aloud, Little Boots, dann komme ich zu einer paradoxen Erkenntnis: Ich selbst könnte ja mein Kind sein. Und mein Großvater gleich auch, denn das neue Best Of von Rod Stewart möchte ich genauso dringend haben. Ich kaufe jedes Best-Of-Album von Rod Stewart, einfach, um ihn jedesmal wieder neu zu feiern, diesen Mann, der einen immer
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