Auch Deutsche unter den Opfern
Krieg den Palästen!«
Als Regisseur würde man ihm raten, das Requisit Taschentuch nicht ganz so oft zum Stirntrockenwischen aus der Tasche zu ziehen. Und auch das mit der Perücke bleibenzulassen, die er sich tatsächlich aufsetzt, um dann stehend Marquis de Sade abzufeuern, mit der Hand – wenn er sie nicht gerade zur Kampfesfaust ballt – die Lesebrille zurechtruckelnd. Das aber war, trotz Bakunin, Meinhof und Kropotkin, alles nur vorrevolutionär, denn nun liest Willemsen abschließend Roche. Praktisch »als Frau« zu sprechen, ist für Willemsen nichts Neues, sein eigener Roman »Kleine Lichter« hatte schon eine Erzählerin, die hieß Valerie und sprach: »Ich rede, um dich anzustecken« – wäre das nicht was für Peymann gewesen? Jetzt liest Frau Willemsen: »Wir wollen uns alle paaren mit Menschen, die nach Muschi riechen.« Das Publikum giggelt und freut sich. Rosette, Hämorrhoiden, Kackaproblem – zu köstlich. Und superradikal. Roches Platzhalter an diesem Abend, Hermann Beil, beobachtet, wie neben ihm Willemsen sich durch diese, der Publikumsreaktion zufolge, radikalste Schrift des Abends singsangt. Beil guckt weder angewidert noch schockiert, auch nicht besonders amüsiert, er scheint sich lediglich zu fragen, ob da noch was kommt, ob es das nun schon ist. »Wir danken Ihnen sehr für Ihre Tapferkeit«, beendet Willemsen den Vortrag konsequent kokett, und Peymann leitet dann die Verbeugungszeremonie: abtreten, und dann noch mal schnell rauf, verbeugen – und aus. So macht man das.
Beim Verlassen des Saals spricht das Publikum nur über einen der vorgelesenen Texte, aber zu dem fällt jedem etwas ein, es wird viel gelacht – gedacht wird dann beim nächsten Mal.
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Bierbotschafter Steinmeier
Für Kurt Beck war es ein schlechter Abend. Er hatte einen, sein Büro nennt das so, Mainz-Tag: Nachmittags ein Fachkongress, »irgendwas mit Gesundheitswirtschaft«, sagt das Büro, abends Landespressekonferenz, kleine Runde, »gesellig« möglicherweise – Hintergrundgespräche, und dann auch noch in Mainz, während in Berlin Frank-Walter Steinmeier sozusagen auf dem Tisch tanzte. Oder auch: ein Fass aufmachte. Mit dem »politischen Gegner«!
Aber der Reihe nach. Um kurz nach sieben betritt Steinmeier die Bayerische Landesvertretung, im Foyer begrüßt ihn der Präsident des Deutschen Brauer-Bundes. Der Außenminister scherzt ein bisschen herum mit dem Brauerbundpräsidenten, auch der Präsident des Deutschen Instituts für Reines Bier steht dabei. Natürlich gibt es solche Präsidenten in einem Land, in dem ein Großkonzern so genau und ordentlich bescheißt, dass er dafür sogar extra Formulare anlegt.
Es ist der »Tag des Deutschen Bieres«, datiert nach dem Erlass-Tag des Reinheitsgebots im Jahre 1516, und Steinmeier wird heute zum »Botschafter des Bieres« ernannt, tritt damit die Nachfolge von Horst Seehofer an; und es ist eine dieser besonders egalen Berliner Abendveranstaltungen, wo es formal um nichts geht, wo sich aber dann doch alles entscheidet, wo es jedenfalls nicht empfehlenswert ist, in Mainz zu sein, wenn man – schon gut, zu gegebener Zeit den Kanzlerkandidaten der SPD vorschlagen wird, der man aber ja eventuell selbst sein möchte.
Die Treppe rauf, da wartet die CSU. Na ja, erstmal wartet dort nur Markus Söder. »Der Horst fehlt, wir warten noch aufn Horst«, sagt Söder jetzt. In der »Bayernhalle« stehen Bierzeltbänke und -tische, an denen sitzen Mitglieder des deutschen Bundestages und die Chefs von 16 Brauereien, deren Biere später von Horst Seehofer mit dem»Bundesehrenpreis« ausgezeichnet werden, weil sie bei der Qualitätsprüfung besonders gute Ergebnisse erzielt haben. Die Brauer scharwenzeln um die Politiker herum, kommandieren ihre mit Digitalkameras ausgerüsteten Ehefrauen, am besten, der Politiker nimmt das Bier des Brauers in die Hand, der Brauer drängt sich nah an den Politiker – und die so entstehenden Fotos stehen dann morgen auf der Internetseite des Brauers und hängen übermorgen gerahmt im Flur der Brauereiverwaltung: Als wir einmal in Berlin waren und es recht lustig hatten mit den Mächtigen, die sich sehr gefreut haben über eine Flasche unseres Bundesehrenpreis-Bieres.
Da kommt der Seehoferhorst, wie man in Bayern sagt; der Seehoferhorst humpelt, zieht das linke Bein nach, aber er ist bester Dinge, zumal hier, »auf bayerischem Boden«, wie Söder sagt; Bayerische Landesvertretung wegen Bier, und »bayerischer Boden« wegen Humor –
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