Auch Deutsche unter den Opfern
beauftragten, als gut und frisch aufgefallenen Agenturen. Tatsächlich, einige haben sofort Spaß an diesem Experiment. Je ein Plakat für CDU und SPD? Aber gerne doch! Ohne offiziellen Auftrag könne man sich mal so richtig austoben, das sei eine gute Übung, eine dialektische zudem.
Die Gespräche mit den Graphikern und Textern sind wohltuend, in sämtliche Wortblasen werden Nadeln gepiekst, es geht angemessen plattum »das Produkt«, also die jeweilige Partei. Wie ist die Ausgangslage, wie das Image der Kandidaten, wohin deuten Marktforschungen (in diesem Fall: die Wahl-Umfragen), welche Angriffsflächen bietet der Konkurrent? Keine Rede vom Nachtflugverbot. Beziehungsweise nennt der Werber sowas anders: »emotional branding«. Diese Gespräche haben einen aufschlussreichen Paradox-Effekt – man fühlt sich als Wähler ernst genommen, nämlich immerhin nicht veralbert. Eingedampft geht es doch nur um Ja oder Nein, um Schwarz oder Rot, um Koch oder Schäfer-Gümbel.
Die Entwürfe der verschiedenen Agenturen geraten so angriffslustig wie angstfrei, sie sind spielerisch, mal grob, mal lustig. Sie können das sein, weil sie nicht das Kompromiss-Spülbad irgendwelcher Gremien durchlaufen müssen – und weil sie am Ende nur ein Spiel sind. Es ist nur Werbung, und zwar eine, die nicht als Weltanschauung parfümiert ist oder als Maßnahme zur Vaterlandsrettung. Vielleicht steckt in diesem Spiel mehr Wahrheit als in den offiziellen Kampagnen.
Was ist denn eigentlich der Unterschied zwischen Waschmittelwerbung und Parteienwerbung? Nun, sagt ein Werber, das Waschmittel trete nicht in der Tagesschau auf, und das mache die Sache leichter, berechenbarer.
Letzte Meldung aus Hessen: Die ersten »Sonderstellflächen« wurden mit Neuwahlplakaten beklebt; die der SPD fragen, ohne Schäfer-Gümbel zu zeigen, rein typographisch »Wirklich wieder Koch?« – und eine Sonderstellfläche weiter wünscht Roland Koch, mit verbindlichem Blick vor einem Weihnachtsbaum posierend, ein gutes neues Jahr.
Und schon denkt man wieder an die Krise.
[ Inhalt ]
Outlet-Center
Vier »Zwilling«-Haushaltsscheren auf einem roten Samtkissen, zum Seidenbandzerschneiden, ein im Wind frierendes, also ansprechend gekleidetes Top-Model und ein gut gelaunter Ministerpräsident, feierlich kostümierte Firmenchefs und Investoren mit komplizierten englischen Wortketten als Berufsangabe – alles könnte so schön sein. Eine Eröffnung in Zeiten der Schließungen, gleich wird das Band durchschnitten, eine mit Eröffnungsangeboten geköderte Menschenmenge freut sich schon hinter einem Metallzaun, zudem gibt es endlich mal ein paar neue Arbeitsplätze, der Ministerpräsident kann also von Hoffnung sprechen und einem tollen Signal für die Region.
Wustermark – so heißt das hier, und so ist das hier auch. Diese Art Gegend wird in politischen Talkshows immer »grüne Wiese« genannt. So grün sind die Wiesen dann aber gar nicht, es sind halt ein paar Betonkästen draufgestellt worden und mit Sonderangebotswaren gefüllt, und rundherum ist alles Parkplatz. Alle Architektur, alle Landschaftsgestaltung hier ist streng zweckdienlich; Hauptsache, man ist schnell da und schnell wieder weg. Und das bisschen grüne Wiese ist eher Natur-Reminiszenz, nämlich hastig verlegter Rollrasen und ein paar Blumentöpfe.
Inmitten dieser Tristesse nun die Super-Tristesse: eine Fußgängerzone ohne Stadt drumherum, das »Designer Outlet Berlin«. Durch das Imitat eines altertümlichen Stadttores gelangt man in eine Dorfattrappe, in deren putzigen Häuslein zweit- und drittklassige Modefirmen wie Strenesse, Replay, Marc O’Polo, Daniel Hechter und wie die alle heißen ihre Ramschfilialen eingerichtet haben. »Outlet« klingt natürlich besser, und dank schnörkeliger Straßenlaternen und der nostalgischen Fassadengestaltung mit Fachwerk und Markisen merkt man ja gar nicht mehr, dass man sich auf einstmals eher der Landwirtschaft zugedachtem Geländebefindet. Außerdem: Dass die hier angebotenen Waren so günstig sind, weil es sich um Restbestände zurückliegender Kollektionen handelt, ist vollkommen wurscht, da es durchweg Marken sind, die keine Saison je prägen. Man kann also gefahrlos eine »sommerliche Damen-Caprihose«, »schwarze Herrenpantoletten« oder einen »Armreif mit integrierter Uhr« kaufen; dem bitte groß aufgedruckten Herstellerlogo zufolge waren sie teuer, das bewirkt auf kostengünstige Weise anerkennende oder neidische Blicke – der vorrangige Zweck
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