Auch Deutsche unter den Opfern
Thorsten Schäfer-Gümbel: »Isch bin kaane Marrrionedde.«
Die Krise der SPD, speziell die ihres hessischen Landesverbandes, kann man ja ebenfalls kaum wegschalten oder überblättern, das ganze Jahr lang schon, überall und in immer neuen Zuspitzungen; es fällt schwer, dies konstant aufmerksam zu verfolgen, vielmehr hat man das Gefühl, davon verfolgt zu werden. »Es geht um Inhalte!« Ach tatsächlich, ja?
Hinaus in die kalte Nacht, und hinein in ein warmleuchtendes Wirtshaus, am Tresen stehen, ein bisschen hin- und herreden, bitte mal nichtüber die Krise. Da merkt man, ein gutes Tresenthema ist die Fragestellung, wie SPD und CDU anlässlich der bevorstehenden Neuwahl in Hessen werben könnten. Für die CDU fallen jedem sofort ein paar Sprüche ein, die meisten handeln von der SPD. Wie aber könnte die SPD selbst werben? Puh. Hm. Fällt jetzt gerade keinem was ein, SPD in Hessen, das ist schwierig. Stattdessen eine weitere Plakatidee für die CDU: Man müsste einfach Ypsilanti abbilden, und dann – tja, für die CDU ist es leicht. Das Problem der CDU könnte allenfalls musikalischer Natur sein, der Ton muss eben stimmen, und diesbezüglich ist Roland Koch ja nun erwiesenermaßen nicht immer treffsicher. Darauf hinzuweisen, wird die SPD nicht vergessen, nur reicht das nach diesem verheerenden Jahr gewiss nicht aus. Koch hingegen darf all die Selbstverstümmelungen der maladen SPD nicht allzu genüsslich benennen, um nicht ungewollt Mitleid mit den geschundenen Sozialdemokraten zu bewirken.
Da die meisten Tresengespräche von Kommunikationsproblemen handeln, ist dies ein geeigneter Ort, das Gedankenspiel fortzuführen. Könnte die SPD die gelungene Argumentationsführung des Renault-Spots kopieren? Selbstironie – wäre möglich, scheint sogar nötig. Und schon werden die ersten SPD-Slogans auf Servietten gekrickelt. Doch sind sie zu lustig, zu wahr, um wirklich für Partei-Werbung infrage zu kommen. Oder?
Anderntags, Anruf bei der Werbeagentur der hessischen SPD. Die für den letzten Wahlkampf zuständige Agentur wurde diesmal von den Grünen beauftragt, interessanter Seitenaspekt. Die SPD-Kampagne wird nun von einer anderen Agentur erdacht, einer durchaus SPD-erprobten, sie hat Landtagswahl-Kampagnen für Kurt Beck, Klaus Wowereit und Michael Naumann geplant, auch Schröders finalen Bundestagswahlkampf 2005. Dass ausnahmsweise mal ein Anrufer den SPD-Auftrag nicht als »Himmelfahrtskommando«, sondern als interessantes Problem klassifiziert, freut den zuständigen Werber, doch ob er über die geplante Kampagne detailliert Auskunft geben dürfe, müsse er zuvor mit dem Bundesgeschäftsführer Karl-Josef Wasserhövel abstimmen. Man ahnt, was das bedeutet, und ein paar Tage später wird es bestätigt: kein Kommentar.Alle möglichen Eindrücke sollen nicht erweckt werden; man hört sich geduldig an, was alles man bitte nicht zitieren soll – und wie derzeit nach jedem Gespräch mit Menschen, die näher mit der SPD zu tun haben, muss man sich wirklich sehr konzentrieren, zum Schluss nicht »Gute Besserung« statt »Auf Wiederhören« zu sagen.
Auf der Internetseite der hessischen SPD wird man um Geldspenden für Plakataufstellungen gebeten, jedoch: »Das Plakatmotiv können wir dir jetzt noch nicht verraten, wir wollen es dem politischen Gegner ja nicht noch einfacher machen!«
Es ist wohl ein Versehen, dass in diesen duzenden, etwas tragischen Aufruf eine durchaus realistische Selbstbeschreibung eingewoben ist, »nicht noch einfacher« heißt ja, wir, die SPD, machen es der CDU ohnehin sehr leicht. Das hat zwar fast schon Renault-Qualität, ist aber bloß ein Nebensatz und nicht Teil der offiziellen Kampagne.
Längst sind die Überlegungen zu einer Art Ohrwurm geworden, immer wieder die Frage: Wie sähen die optimalen Plakate für CDU und SPD in Hessen aus? Nach einem solchen Jahr wie dem zurückliegenden nurmehr als Volksverblödung aufzufassende Begriffe wie »Nachtflugverbot« oder »Bildungsgerechtigkeit«, Slogans gar vom Schlage »Für ein gerechteres Hessen« kann man doch wohl ausschließen, oder? Andersherum: Nach Lage der Dinge kann die SPD nun wirklich nicht mehr ernsthaft mit »Politikwechsel« für sich werben, dieses Wort wäre allenfalls in ironischer Lesart von der CDU verwendbar, mit Fragezeichen hinten dran. Allerdings hält man sich mit Hessen-betreffenden Prognosen mittlerweile lieber zurück und reicht das reizvolle Gedankenspiel mal an Profis weiter: Anrufe bei nicht von den Parteien
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