Auch Deutsche unter den Opfern
eines Markenartikelkaufs ist also erfüllt.
Nach der Banddurchschneidungszeremonie gehen nun das Top-Model und der Ministerpräsident, Franziska Knuppe und Matthias Platzeck, diesen Discountparcours ab, vor jedem Laden steht dienstbar das Verkaufspersonal, Platzeck winkt und wünscht alles Gute, während Knuppe in erster Linie beidhändig ihren Rocksaumsitz gegen den Wind verteidigen muss.
Am dritten Gebäude angekommen, klopft der Ministerpräsident dann aber doch mal mit dem Zeigefingerknöchel prüfend gegen die Hauswand, auch auf ihn scheint diese seltsame Siedlung wie eine Kulisse zu wirken. »Ist echt, wa? Nicht wie in Babelsberg!«, ruft ihm Franziska Knuppe zu, und vielleicht schwingt da etwas Ironie mit. Plötzlich flutet Musik durch die Gassen, an jedem Haus sind kleine Lautsprecher befestigt, und man hat das Gefühl, per Knopfdruck könnte es hier auch schlagartig Nacht werden oder anfangen zu schneien; es ist eine dem »Shopping« geweihte Parallelwelt. »Hat nicht so Dorfcharakter, ist eher ein Städtchen«, sagt Platzeck landesväterlich angetan. Doch wenn die Anfahrtsbeschreibung zu einem sogenannten Einkaufsparadies Formulierungen enthält wie »ab Stadtgrenze noch ca. 10 km«, dann heißt das, wir feiern hier heute auch die fortschreitende Entvölkerung und Verödung der wirklichen Innenstädte. Einkaufen zu gehen bedeutete früher: »Ich fahr mal in die Stadt.« Heute fährt man dazu aufs Land. Hier einzukaufen ist billiger und bequemer als in den Innenstädten, und das ist, kurz gesagt, blöd für – zum Beispiel – Karstadt.
Adidas, Tommy Hilfiger, Calvin Klein – vor dem Geox-Laden muss Franziska Knuppe niesen. Ein Gentleman hatte ihr zwar, als sich die Eröffnungsreden etwas in die Länge zogen und der Wind sehr kalt wurde, sein Busfahrer-Jackett um die Schultern gelegt, das aber gefiel den Fotografen nicht. Diese Eröffnungsreden gedachten natürlich auch des Architekten Moritz Kock, der im kürzlich verunglückten Air-France-Flugzeug ums Leben gekommen war. Die ihm als Mitgestalter gewidmete Schweigeminute nun war ein besonders bizarrer Moment: Hinter dem Metallzaun protestierten die Sonderangebotsjäger, sie wollten jetzt endlich hinein ins Schnäppchendorf, die Fotografen knipsten und blitzten die Witwe, und ein Redner sagte dann: »Moritz’ Andenken wird in diesem Designer Outlet bewahrt.« Eine für alle schwierige Situation, ja, aber Begriffe wie »Andenken« und »Designer Outlet« sollte man nicht so eng verknüpfen.
Wie kriegt man hier jetzt die Kurve? Vielleicht mit Hilfe Ulla Klingbeils, die kommt da fröhlich mit einer Tüte des Weges, sie hat Jacken und T-Shirts für ihre Enkelkinder und für sich selbst zwei Hosen gekauft. Sie ist begeistert: »Überall ausreichend Personal, niedrige Preise – wenn das KaDeWe so wäre, würde es auch wieder funktionieren.« Wahrscheinlicher ist, dass das hier das neue KaDeWe ist – es liegt zwar etwas außerhalb, aber für jeden gibt es einen Parkplatz.
[ Inhalt ]
Mitternächtliche Elektronikfachmarkt-Eröffnung
Kurz vor 23 Uhr eine Schrecksekunde: keine Feuerwerkskörper dabei, noch nicht Blei gegossen, »Dinner for One« verpasst! Nachmittags hatte es geschneit, eine Grundsatzrede des Bundespräsidenten hallt in unseren Ohren nach, jetzt stehen wir dichtgedrängt und frieren dem Umspringen von Uhr und Kalender auf den neuen Tag entgegen, aber halt – heute ist ja gar nicht Silvester. Es eröffnet bloß eine neue Elektronikfachmarktfiliale, jedoch immerhin die angeblich weltgrößte: 9000 Quadratmeter!
Wenn man sich hier auf dem Alexanderplatz so umguckt, könnte man auch denken, um null Uhr finde ein großer Bushido-Ähnlichkeitswettbewerb statt. Wenige Frauen, viele fremde Sprachen. Hier zu stehen ist ein schöner Anlass, sich mal mit der in jedem Menschen unterschiedlich tief schlummernden Xenophobie auseinanderzusetzen – denn im Gedränge und Geschubse um den Erstzugriff auf die begrenzten Sonderangebote ist die ihr zugrundeliegende Sorge so besonders schlicht greifbar: Nehmen die mir was weg?
Es wird viel telefoniert und fotografiert, man sieht viele MP3-Player-Ohrstöpsel aus Jackenkragen baumeln; nahezu jeder scheint schon ganz gut ausgerüstet mit Elektrogeräten, es geht offenbar nicht um Erstversorgung. Marktwirtschaft verkehrtherum: Hier bestimmt heute das Angebot die Nachfrage.
Warum drängeln wir bloß so? Gibt es etwas umsonst? Fast – »fast geschenkt«, sagen die Experten, die sorgsamer als jede
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