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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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romantische, naive Erwartungen hat.
    In »Apotheken-Umschau«, »Cosmopolitan«, »Emma«, »Super Illu«und wo nicht überall konnte man jüngst – jeweils »Exklusiv-Interview« genannte – Befragungen der Kanzlerin lesen. Sie wurde derart erschöpfend durchporträtiert und -biographiert, ausgedeutet, kreuzverhört und duelliert – da bleiben gar keine Fragen. Da will man nur kurz mal mit ihr plaudern, vielleicht mal das seltsamfarbene Jackett berühren: Gibt es sie echt, ja? Unterschätzt, überschätzt – was denn nun? Unverhofft ergibt sich dann die Gelegenheit; keine Fragen eigentlich und dafür etwa vier Minuten Zeit, zwischen Erfurt und Leipzig.
    In Erfurt sprach sie soeben auf dem Bahnhofsvorplatz, der leider Willy-Brandt-Platz heißt, über Konrad Adenauer. Wie von der Bundeszentrale für politische Bildung bestellt, sagte im Publikum ein Erfurter Teenager zum anderen: »Adenauer, war das nicht einer aus ’m Krieg?« Zum Abschied wurde der Kanzlerin ein Tablett Thüringer Bratwürste auf die Bühne gereicht. Für ihr mutiges In-die-Wurst-Beißen bekam Angela Merkel den größten Applaus.
    Nun sitzt sie, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, im »Panoramawagen«; etwas höher sitzt man hier als in den anderen Rheingold-Express-Waggons, das Dach gläsern, man kann alles gut sehen: Deutschland, wie es wirklich ist. Eine Gerüstbaufirma, ein Billard-Center, Speditionen, Lagerhallen, Bauernhöfe; genau, aber nicht streng linierte Ackerflächen; ein Haus, mehrere Häuser, Dorf, Städtchen – und wieder Felder; »100 Jahre Erdal – die ganze Welt der Schuhpflege«. Alles in Ordnung. An den Bahnübergängen wird gewartet, in den Gärten gepflanzt und geerntet; die Parabolantennen auf den Dächern fangen den Gesang der Welt ein. Über allem dieses perfekte Deutschland-vor-dem-Fenster-Wetter, grau, manchmal Regen, dann kurz die Sonne; alles macht weiter. Adenauer – so lang ist das gar nicht her.
    Man schaut ihr ins Gesicht, ein kurzer Augenkontakt. Hallo, Frau Merkel! Ihre Augen passen farblich gut zur lila Jacke, an deren linkem Ärmel einer von vier Knöpfen etwas lose sitzt. Draußen ein Maisfeld, der Zug fährt grad sehr langsam. Säße man nicht der Kanzlerin gegenüber, würde man jetzt wahrscheinlich auf die Bahn schimpfen.
    Wie war die Thüringer Wurst, Frau Bundeskanzlerin?
    Ging so.
    Kalt?
    Kalt war se nich. Aber, ich sag mal, zu stark gewürzt.
    Willy Brandt am Erfurter Fenster – woran denken Sie bei Willy Brandt zuerst?
    Na, da in Erfurt an die Willy-Willy-Rufe. Und an den Kniefall natürlich.
    Wie unterscheiden sich die Städte von der Bühne aus?
    Man sieht schon, ob es eher ländlich oder großstädtisch ist. Osten oder Westen sieht man den ganz jungen Leuten gar nicht mehr an.
    Wenn Sie aus dem Zugfenster schauen, was für ein Land sehen Sie?
    Ich sehe ein ziemlich intaktes Land, im Vergleich zu anderen Ländern, in denen man schon so war.
    (Man! Länder, in denen man schon so war! Das Erste, was einem ein Psychotherapeut beibringt: Sagen Sie nicht »man«, sagen Sie »ich«. Das Erste, was man als Profipolitiker wahrscheinlich lernt: Öfter mal »man« sagen, dann kann nichts groß passieren.)
    Was ist Ihre persönliche Sehnsuchtslandschaft?
    Leicht wellig. Mehr so Grundmoräne.
    Ist der Herbst Ihre Lieblingsjahreszeit?
    (Hm. Sie guckt zum Pressesprecher, fummelt an ihrem Handy.)
    Wie fanden Sie sich im »TV-Duell«?
    Die Medien haben ja offenbar so ’ne Rabatz-Erwartung. Versteh ich schon, jeden Tag ’ne leere Zeitung, das wäre ja auch nix. Und wenn es keine schlagzeilentauglichen Meldungen gibt, dann heißt es gleich: langweilig.
    Ja, hört man jetzt oft: Der Wahlkampf sei langweilig.
    Finde ich nicht. Und die Leute finden das auch nicht. Ich will am 27. 9. ’ne starke Union.
    Man kann hier an Bord wählen zwischen Gulasch und Erbsensuppe. Ihre Wahl?
    Ich habe mich für die Erbsensuppe entschieden.
    Eine Frage noch? Gut, schnell: Ihr aktuelles Großplakatmotiv zeigt Sie im hellgrünen Jackett, Ihre Hände bilden in Bauchnabelhöhe eine Raute. Was hat das zu bedeuten?
    Nichts. Diese Haltung hat sich herausgestellt als Position, in der ich automatisch den Oberkörper aufrecht halte. Normalerweise bin ich ja mehr so … (Sie zieht die Schultern nach vorn, macht einen leichten Buckel). Nichts anderes heißt das.
    Hat noch kein Körpersprachenspezialist gedeutet?
    Nö. Schönes Foto, oder?
    Ja, die Jackettfarbe knallt ordentlich. Danke, Frau Bundeskanzlerin!
    Und, isses für Sie auch ’n

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