Auch Deutsche unter den Opfern
trostlosester Müntefering-Humor. Wahlkampf. Und jetzt: Kulturwahlkampf! Leider ist es so, dass ein Künstler, der parteipolitische Direktiven artikuliert, als Künstler eigentlich erledigt ist. Letzte Ausfahrt: Goethe-Institut; einmal bitte recht kritisch lächeln! Nein, der Künstler muss außen stehen, er sollte Partei- wie Kirchentage meiden, und was er so denkt, möge er eigenständig in Kunst umwandeln. Auf der Internetseite der Grünen ist »Rap gegen Atomkraft« zu hören, ein brav vertonter Leitartikel, mit großem Ernst wird »Atomenergie« auf »Risikotechnologie« gereimt, auch der Begriff »Laufzeitverlängerung« wird da gerappt, und wirklich alles, was diese Musikgattung ausmacht, fehlt. Rhythmusgefühl zum Beispiel, Sprachwitz – überhaupt Humor. Aufgesetzt dürfe es natürlich nicht wirken, stimmt Özdemir zu, desch wär uncool. Ein abschreckendes Beispiel, dieser Flugblatt-Rap, für das, was Anlass unseres Treffens ist: Kulturwahlkampf.
Ob es der Partei nützt, wer weiß, dem Künstler aber schadet es gewiss. Na ja, sagt Özdemir, es müsse ja nicht so platt sein: »Wählt die Grünen« oder so. Es könne auch provokant sein; wenn es also so sei, dass ich die Partei nur in einem schwarz-grünen Bündnis interessant fände, könne ich das durchaus sagen, in einer Videobotschaft zum Beispiel. Oder bei einer gemeinsamen Veranstaltung.
Wie ist er überhaupt auf mich gekommen? Wirke ich irgendwie, nun ja, grün? Man habe sich einfach überlegt, wer passen könnte, wer nicht völlig gegensätzlich positioniert sei. Der Torwart Jens Lehmann habe zugesagt, auch die UFO-Expertin Nina Hagen; nicht gerade Personen also, zu denen ich bislang eine Geistesverwandtschaft verspürt hätte. Ohnehin bin ich Einzelkämpfer – und Wechselwähler. Und die Kulturheinis, die eine Partei als die ihre bezeichnen und ihr in ewiger Treue das Fähnchen hochhalten, wie eiserne Fans einer bestimmten Fußballmannschaft, bis hinunter in die dritte Liga, die finde ich intellektuell nicht besonders anregend. Eben drum, sagt Özdemir, umso spannender wäre doch jetzt ein Statement für die Grünen von mir. Das Wort »spannend« benutzt er sowieso sehr häufig, »spannend« und »cool« sind offenbar Özdemirs Lieblingswörter. Spannend und cool, wer mag das nicht, also, auf geht’s: Das möge er jetzt bitte nicht missverstehen, sage ich, aber was an den Grünen so schwer zu ertragen ist, sind die Grünen; ein Großteil des Personals, die Hälfte der Wählerschaft. Spießiger geht es eigentlich nicht. Claudia Roths Weinkrämpfe und Freudentänze, Trittins Irrglaube, Körpergröße verhalte sich proportional zum Bescheidwissen. Die Quotenidiotie: zwei Spitzenkandidaten, zwei Vorsitzende, damit kein Geschlecht benachteiligt wird. Da ist doch sogar die CDU weiter, mit einer Frau. Und die albernen Sprüche: »Aus der Krise hilft nur Grün.« Eine Parteifarbe, die als Synonym für »gut« verwendet wird, grauenhaft.
Özdemir hört sich mein Geschimpfe lächelnd an, Stuttgarter Straßenwahlkampf härtet ab. Er hält das Glas schief, um den letzten Rest Mango Lassi mit dem Strohhalm auszuschlürfen: »Ich bin ja Realo.« Über Claudia Roth werde er natürlich nichts Negatives sagen, und ab und zu mal weinen, das fänden die Leute eben – ja wirklich – authentisch. Trickreich ergänzt er: Vielleicht solle er auch ab und zu mal weinen? Jedenfalls, wenn er mir so zuhöre, glaube er, ich würde mit der nächsten Generation Grüner gut zurechtkommen, mit Tarek Al-Wazir zum Beispiel. Er zieht einen Aufkleber aus der Jacketttasche, auf dem steht CEM; das sei das Plakat in Stuttgart, einfach nur CEM, das sorge fürDiskussionen, sei also ein gutes Plakat. Alle anderen Parteien zeigten Gesichter, da hebe sich sein Plakat schön ab. »Also, wie wär’s mit einer Lesung in Stuttgart?« Ein Direktmandat dort, das sei schon eine Herausforderung, sagt er tapfer, Stuttgart sei nicht Kreuzberg, hier – er deutet aus dem Fenster – könnten die Grünen auch einen Besenstiel aufstellen und würden gewinnen. Der Direktmandatsinhaber dieses Bezirks ist bekanntlich Hans-Christian Ströbele, die Galionsfigur grüner Bioladengemütlichkeit und Fahrradfolklore. Wenn ich den Grünen Böses wollte, müsste ich wohl den unterstützen. Cem Özdemir hingegen ist ein ungewöhnlicher Grüner, weil er ein gewöhnlicher Politiker zu sein scheint. Er argumentiert analytisch, sachlich, strategisch, ohne ideologischen Furor. Schon merkwürdig, dass ausgerecht diese
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