Auch Deutsche unter den Opfern
schöner Tag? Macht man ja nicht alle Tage, so mit’m Zug quer durch Deutschland.
Ja, macht Spaß.
Man lässt sie wieder allein in ihrem Panoramawagen, sie schaut kaum aus dem Fenster, ist die ganze Zeit mit ihrem Handy beschäftigt. Ihre Vorgänger hätten darauf bestanden, sich für die Fotografen einmal neben den Zugführer zu stellen. Angela Merkel bleibt im Panoramawagen, genau in der Mitte der Waggonreihe. Das ist ihr Platz.
Besichtigungsspurt durch das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig; »Geschichte erleben – Eintritt frei«. Nebenan wirbt eine Mobiltelefongesellschaft rabiat um neue Kunden: »trotz Schufa!« Die Ausstellung zeigt Transparente, Flugblätter, Plakate und andere Reliquien des Mauerfalls; auch an den Berlin-Umzug wird erinnert: eine Todesanzeige für Bonn, Umzugskartons. Doch die mitreisenden Journalisten haben sich für heute nun genug erinnert, Angela Merkel soll jetzt bitte noch etwas Aktuelles sagen für die Abendnachrichten, und zwar über das Opfer der sogenannten Münchner S-Bahn-Mörder. Macht sie gern, doch spricht sie von Dirk statt von Dominik Brunner – die Fernsehteams werden anschließend gebeten, das irgendwie rauszuschneiden; mit einer hinreißenden Begründung: Nicht dass es einen Dirk Brunner gibt, der sich dann erschreckt.
Auf der Schlussetappe zwischen Leipzig und Berlin, ein Besuch im»Unterstützer-Wagen«: Hier sitzen mehr oder weniger (die meisten: weniger) bekannte Menschen, die in Zeitungsanzeigen und wo immer es nur geht dazu aufrufen, Angela Merkel zu wählen. Besonders die weiblichen Unterstützer scheinen sich ein bisschen wie im Obama-Wahlkampf zu fühlen, sie schicken alle paar Minuten Unterstützer-Botschaften ins Internet und sagen so Sätze wie »Ich bin ein typischer Word-Spreader«. Aber sie sagen auch normale Frauensätze: »Diese auffallenden Farben trägt die Kanzlerin mit Absicht an solchen Tagen – als Blickfang. Und wie toll sie nach so einem Tag noch aussieht, sie macht ja zwischendurch nichts an sich. Das ist wohl ein Kompakt-Make-up. Und das Haarspray, das will ich auch haben, ich muss rausfinden, welches sie benutzt. Frag ich sie nachher!«
Von so fidelem Geschnatter angelockt, nähert sich Thomas de Maizière dem Tisch: Nach der Wahl lade er mal zu sich ein, Dachgeschoss, von da oben habe man einen geilen Blick über ganz Berlin, sage jedenfalls seine Tochter.
Die aufgekratzten Damen fragen ihn, ob denn nur seine Tochter oder auch er selbst diese Aussicht geil fände.
Na ja. De Maizière guckt sich schuldbewusst um, die Kanzlerin hat gerade den Waggon betreten, mal die Unterstützer besuchen, die zwar alle betonen, wie lang und gut sie Angela Merkel kennen, doch jetzt allesamt sehr nervös werden.
De Maizière senkt nun tatsächlich die Stimme: Also, das sei ja politisch nicht so korrekt, das Wort »geil«.
Lustig: Hat er Angst vor der Kanzlerin?
Der Zug hält in Berlin, die grünbehelmten Demonstranten warten schon am Ausgang des Bahnhofs und suchen noch immer die Klimakanzlerin, eine Abordnung steht auch vor dem Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Zentrale, wo die Kanzlerin nun tagesbeschließend eine »Installation« berühmter Schwarz-Weiß-Aufnahmen Adenauers einweiht. Installation bedeutet hier, dass die Bilder sehr groß in Bahnen abgezogen und die einzelnen Bahnen in Metallrahmen gefasst wurden.Adenauer mit Kennedy, Adenauer mit heimkehrenden Kriegsgefangenen, Adenauer nach seiner ersten Wahl zum Bundeskanzler. Die Bilder sind so genau in die Wände eingepasst, dass sie kaum auffallen, »es ist ganz organisch, es fügt sich ein«, wird die Kanzlerin später feststellen. Doch erst spricht noch Ronald Pofalla: »Wir haben ganz bewusst heute am Grab Konrad Adenauers begonnen. Das war ein phantastischer Tag.« Kulturstaatsminister Neumann zitiert Walter Benjamin: »Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten.«
Durch Pofalla oder ihr legendäres Handy scheint die Kanzlerin inzwischen erfahren zu haben, wie spöttisch an diesem Tag Politiker anderer Parteien über die Rheingold-Express-Fahrt der CDU gesprochen haben, also kontert sie: »Wer der Meinung ist, dass wir eingetaucht sind in den Muff der Geschichte, den wollen wir in diesem Glauben belassen. Wir haben heute sehr weit in die Zukunft geblickt. Das Buffet ist eröffnet.«
Der Schriftsteller Thomas Brussig ist einer der Ersten am Suppentopf. Die Kanzlerin sei eine begeisterte Leserin seiner Bücher und empfehle sie wie verrückt weiter, erzählt Brussig mit heißem
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