Auch ein Waschbär kann sich irren
‘rausschmeiße, was tun Sie dann?«
»Whisky trinken.«
»Und dann?«
»Weiter Whisky trinken.«
»Und dann?«
»Dann fange ich mit dem Whiskytrinken wieder von vorn an.«
»‘raus!« schrie er. »Und bilden Sie sich ja nicht ein, daß ich mir ein Bein ausreißen werde, wenn Sie hops gehen!«
Ich zwinkerte dem Colonel zu und sagte zu dem Inspektor:
»Das würde mir dann auch nicht mehr viel helfen.«
Da ich fürchtete, er werde mit dem Schreibtisch nach mir werfen, machte ich mich rasch davon.
Anschließend tat ich genau das, was ich Inspektor Smith gesagt hatte: ich hockte mich auf einen hohen Barschemel und fing an, Whisky zu trinken.
Nach dem ersten Glas entdeckte ich Mary-Ann. Sie stand vor einem großen Jasminstrauch und lächelte mir zu.
Nach dem zweiten Whisky sah ich immer noch Mary-Ann, aber diesmal hatte sie Tränen in den Augen.
Auch nach dem vierten Whisky sah ich noch Mary-Ann, dann aber, nach dem fünften oder sechsten, sah ich eine andere Frau. Eine Frau, die rote Haare hatte.
Ich bezahlte und rief June an. Diesmal meldete sie sich.
»Hallo, June, ich muß endlich wieder mal was Erfreuliches sehen. Hast du Zeit für mich?«
»Eigentlich nicht. Ist es dringend?«
»Natürlich.«
»Bist du betrunken?«
»Natürlich. Das heißt, ich meine: nicht sehr.«
»Also gut. Wann?«
»Du kannst schon mal ruhig den Whisky aus dem Eisschrank nehmen, er wird nicht warm, bis ich dort bin.«
Selbstverständlich bin ich nach einigen Whiskys nicht betrunken. Aber sie regen mich an, schärfen meinen Verstand und beflügeln meine Gedanken.
Ich fuhr also, derart beflügelt, zu June, und auf der Fahrt fand ich sozusagen den Schlüssel, der mir den Fall Nicholas erschließen konnte. Wenn man nämlich wirklich auf mich geschossen und meine Telefongespräche überwacht hatte, dann mußte man mich in diesen Fall einbezogen haben, und dann hatte Inspektor Smith recht: man würde versuchen, auch mich um die Ecke zu bringen! Was ich also zu tun hatte, war recht einfach: ich brauchte mir nur bei jeder Gelegenheit den Anschein zu geben, eine ganze Menge zu wissen; ich brauchte nur den Mörder davon zu überzeugen, wie gefährlich ich sei. Dabei hatte ich zwei Chancen: entweder ich verdiente mir tatsächlich Smiths großartige Schlagzeile, oder ich erwischte den Mörder. Ich mußte ihn ja erwischen; denn das war die einzige Möglichkeit, ihm die anderen Morde nachzuweisen. Selbst wenn er mir zuvorkommen sollte, wäre mein Bemühen nicht ganz vergeblich gewesen, denn jeder weitere Mord würde wenigstens der Polizei helfen.
Solche und ähnliche erhabene Gedanken beschäftigten mich, bis ich vor Junes Appartementhaus aus meinem Wagen kletterte.
In dem Glaskasten, unten neben der Halle, saß heute nicht der alte Portier, den ich kannte, sondern ein junges Mädchen, das ich nicht kannte. Sie bediente die Telefonzentrale dieses Hauses, in dem es 52 Appartements gab. Ich winkte ihr gut gelaunt zu und fuhr zu June hinauf.
»Puh!« machte sie, als sie mir die Tür geöffnet hatte, »du scheinst dich langsam aber sicher zu einem Säufer zu entwickeln.«
»Irgendeine Entwicklung«, bemerkte ich, »macht jeder Mensch durch. Übrigens trinke ich nicht ohne Grund. Hast du Whisky kalt gestellt?«
Sie führte mich in ihr Wohnzimmer. Die Jalousie zum Balkon war herabgelassen, und die schräge Nachmittagssonne zeichnete ein Streifenmuster auf das spiegelblanke Parkett. Es war verhältnismäßig kühl in diesem Raume.
»Allerhand«, sagte ich, »was sich da so tut. Weißt du, wer den armen Benjamin Rogers in mein Haus gelockt hat? Rate mal!«
Sie blickte mich fast ein wenig ärgerlich an und zuckte mit den Schultern. Sie saß mir gegenüber in einem tiefen Sessel. In einem sehr tiefen Sessel. Sie hatte schöne runde Knie, und ich entdeckte plötzlich, daß ich keine Ahnung hatte, wie Mary-Anns Beine aussahen.
»Ich weiß es nicht«, hörte ich June sagen. »Wer denn?«
»Ich. Ein Mann namens James Warner rief bei Rogers an, woraufhin der Detektiv sofort nach San Fernando fuhr.«
»Um Gottes willen«, sagte June, »aber das ist doch...«
»...schon erledigt«, winkte ich ab. »Die Polizei hat mich in Ketten aufs Präsidium geschleift, und es war sehr anstrengend, sie davon zu überzeugen, daß ich zur fraglichen Zeit in Phoenix war. Du hättest das doch bezeugen können, nicht wahr?«
»Selbstverständlich.«
»Aber genausogut«, sagte ich, »wie ich jetzt nicht in Yuma bin, hätte ich auch nicht in Phoenix sein
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