Auch ein Waschbär kann sich irren
müssen. Du auch einen Schluck?«
Sie nickte, und ich schenkte die beiden Gläser halb voll Whisky; in mein Glas einen Fingerbreit mehr.
»Prösterchen, June! Man muß trinken, solange man kann, und erst recht, wenn man’s vielleicht schon bald für immer auf geben muß.«
»Jimmy«, sagte sie ruhig, »es ist wirklich schade um dich. Du bist total betrunken und redest lauter Unsinn.«
»Der Unsinn ist aber passiert, June. Ich erzähle nur, was passiert ist. Ich war heute früh bei Esther Nicholas. Sie ist wie ein alter, ausgetrockneter Schwamm: wenn man sich die Finger wund drückt — es kommt nur ein bißchen Staub heraus. Aber stell dir vor, ich habe Bills Mädchen gefunden!«
»So?« machte June interessiert.
»Ja. Aber sie weiß auch nicht, was Bill herausgebracht hat. Sie heißt Mary-Ann und ist die Tochter eines Offiziers. Er heißt Lennox. Sie wohnen in Westwood. Und dann war ich bei Mrs. Rogers, die mir das mit dem Anruf erzählte, und dann schleppten sie mich auf die Polizei. Sie wußten dort aber schon, daß ich nicht der Anrufer sein konnte, oder wenigstens taten sie so. Mir scheint aber, sie haben gar keine Lust, Rogers Tod mit dem von Billy in Zusammenhang zu bringen. Billy ist für sie eine abgeschlossene Sache, und sie wollen sich nicht gern blamieren. Ich werde noch viel Arbeit haben, um sie eines Besseren zu belehren.«
June schob mir ihr japanisches Zigarettenkästchen über den Tisch, aber ich rauchte lieber meine Marke. Ich riß ein neues Päckchen auf, rauchte und fuhr fort:
»Und was hast du inzwischen getan? Wie viele Oliver Martons gibt es?«
Sie schlug die Beine übereinander und sagte:
»Jimmy, nun sei doch mal vernünftig! Du hast dir da irgend etwas in den Kopf gesetzt, und ich finde es ja sehr schön von dir, daß du dir vorgenommen hast, Billys Tod zu klären. Aber ich finde, du solltest dich nicht überschätzen. Du hast keine Erfahrungen in solchen Dingen, und du bist schließlich kein Detektiv. Wenn schon ein Mann wie Rogers...«
»Halt! Halt!« unterbrach ich sie, »das ist gerade mein Vorteil. Ein Detektiv, den man beauftragt und der ein Honorar bekommt, für den ist so was nur ein Fall wie jeder andere auch. Ich habe zwar keine Erfahrung, aber ein kleines bißchen gesunden Menschenverstand — oder willst du mir den auch absprechen?«
»Nein, Jimmy, natürlich nicht. Aber...«
»Und außerdem habe ich eine fürchterliche Wut im Bauch. Ich werde Billy rächen, verlaß dich drauf!«
Sie stand auf, setzte sich auf die Lehne meines Sessels und fuhr mit ihren Fingerspitzen zart über meine Schläfen.
»Mein Gott«, seufzte sie, »da sind schon so viele graue Haare, und du sprichst wie ein sechzehnjähriger Pfadfinder beim Indianerspielen. Hat denn eine Frau gar keine Chancen, einen Mann zur Vernunft zu bringen? Fühlst du denn nicht, Jimmy, daß ich mir Sorgen um dich mache? Wirklich, ich habe Angst um dich, Billy — gewiß, es ist schrecklich, aber Bill stand mir nicht so nahe wie du, und ich möchte nicht, daß dir auch etwas — zustößt. Ich könnte mit Brown sprechen. Wir planen eine große Europa-Reportage, und du könntest — «
»Lieb von dir, mein Herz«, unterbrach ich sie. »Aber solange ich nicht weiß, wer Billy über die Felsen hinuntergeworfen hat, und solange ich den Mörder nicht habe, gibt es für mich nichts Uninteressanteres auf der Welt als eine Europa-Reportage. Wie ist das mit den Oliver Martons?«
Sie erhob sich resigniert und setzte sich wieder mir gegenüber; diesmal jedoch so, daß mich ihre Beine nicht so sehr ablenken konnten.
»Ich habe nur einen gefunden«, erklärte sie. »Er ist Besitzer von zwei Apotheken. Vierundachtzig geboren, also jetzt vierundsiebzig Jahre alt.«
»Und sonst gibt’s keinen? Hier nicht und in San Franzisko nicht?«
»Es gibt hier noch drei Martons, und in San Franzisko habe ich zwei gefunden. Aber keiner heißt Oliver. Ich hab’ sie dir alle aufgeschrieben.«
Sie stand auf, holte einen Zettel von ihrem Schreibtisch und legte ihn auf den Tisch.
»Was willst du nun tun, Jimmy?«
»In der Zeitung«, sagte ich, »in unserer Zeitung stimmt etwas nicht.«
Ich zog das Blatt aus der Tasche und zeigte June das rotangestrichene Inserat.
»Das fand ich bei Rogers. Kannst du dir denken, was das bedeutet? Ich glaube nicht, daß sich Rogers für die Kopien alter Meister interessierte, nicht einmal für Männerporträts. Ein Detektiv streicht aber nichts rot an, was ihn nicht interessiert.«
Ihr Blick ging
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